Horsley: Obama ist ein Weißer

Sebastian Horsley noch einmal: Mit seiner fulminanten Performance begeisterte der britische Punk-Dandy am gestrigen Abend das völlig überfüllte Café Burger. Über 100 zumeist jüngere Zuhörer – darunter viele attraktive Frauen – waren vom Mann mit dem überdimensionierten Zylinder in den Bann gezogen. Höhepunkte der anderthalbstündigen Show waren die Soloeinlagen, in denen Horsley seine dandyeske Sicht auf die Welt, die Drogen und die Frauen zum besten gab. Dazwischen eine deutsche Lesung aus seinem Buch „Dandy in der Unterwelt“ und ein Gespräch. Darin wurde er nach Obama gefragt und sagte, auch der sei nur ein Weißer im Weißen Haus. Sicher eines der dandyistischen Highlights des Jahres in Berlin.

Photo: Anna Schroeder/ DANDY-CLUB

Sebastian Horsley im Café Burger

Der britische Dandy Sebastian Horsley hat morgen, Montag, 20. Juli 2009, eine weitere Performance im Café Burger („Russen-Disco“).
Zeit: 21.00 Uhr.

Ort: Torstraße 58-60.

Pflichttermin für alle Dandys und die, die es werden wollen! We will be there!

Foto: Copyright Anna Schroeder/ DANDY-CLUB

Sebastian Horsley with Matthias Pierre Lubinsky

in talking about dandyism…

Thank you, sir!

Foto: annA-C./ DANDY-CLUB

Sebastian Horsley in Berlin

Mit einer fulminanten Performance begeisterte der britische Pop-Dandy Sebastian Horsley die Literaturszene in der deutschen Hauptstadt. Mit seiner unterhaltsamen Lesung knüpfte der britische Unterwelt-Dandy an die Tradition des europäischen dandysme an und brachte etwa 300 gebannte Zuhörer zu einem tosenden Schlussablaus. Sein Auftritt war der ultimative Höhepunkt einer Veranstaltung des Literarischen Colloquiums Berlin (LCB) am Großen Wannsee. Im Anschluss liessen sich dutzende allemannische Horsley-Fans ihr Buch individuell signieren. Matthias Pierre Lubinsky vom deutschen DANDY-CLUB hatte die Gelegenheit zu einer Audienz.

Foto: Copyright annA-C./ Dandy-Club

FAZ rezensiert Sebastian Horsley

Er provoziert gern – auch mit Erfahrungen aus der Unterwelt: Sebastian Horsley, „exzentrischer“ Dandy (waren das nicht alle) -, hat rotlackierte Fingernägel und topt Oscar Wilde ins 21. Jahrhundrt. Der britische Performer nimmt in zeitgemässer Manier Gepflogenheiten des Dandytums auf, was die deutschen Feuilletons dankbar aufgreifen.

Die FAZ berichtet ausgiebig über diesen sympathischen Zylinderträger und bettet ihre Rezension der deutschen Autobiographie in einen Analyse-Versuch about dandyism ein:

„‚Dandy in der Unterwelt‘ nennt der Maler, Aktionskünstler und Kolumnist Sebastian Horsley seine literarische Autobiographie, die Hedonismus um jeden Preis fordert. Ohne Geld ist da jedoch nichts zu machen: Über hunderttausend Pfund will Horsley für Prostituierte und Drogen ausgegeben haben. Zwischen beiden Gelüsten besteht für ihn allerdings eine klare Hierarchie: ‚Sex ist nur die Sublimierung der Drogenabhängigkeit.‘ Was die Garderobe angeht, setzt er auf subversive Knalleffekte, schimpft den Vorgänger Brummell einen Konformisten und rühmt sich bereits einer persönlichen Hinterlassenschaft, nämlich des Horsley-Hemdes: ‚Vierknöpfiger Ärmelaufschlag. Dreizehn Zentimeter Manschettenumschlag, Kragenstellung: dreizehn Zentimeter (weit genug, um fliegen zu können).‘
(…) Bei seinen weiteren Einlassungen zum Dandytum hat Horsley das Zitieren wohl allerdings zuweilen vergessen – Baudelaire und Barbey D’Aurevilly lassen öfter grüßen, als man es für möglich hält. Horsleys etwas schamloses Sampling ohne Quellenangaben klingt zum Beispiel so: ‚Ein Dandy zu sein ist eher ein Zustand als eine Berufung. Das Dandytum ist eine Abwehr des Leides und eine Feier des Lebens. Es ist keine Mode, es ist kein Reichtum, es ist nicht Schönheit, es kann nicht gelehrt werden. Es ist ein Schild, ein Schwert und eine Krone – alle hervorgezogen vom Dachboden der Einbildungskraft.‘

Zugegeben, das Buch beginnt mit einem Paukenschlag von erstem Satz: ‚Als Mutter herausfand, dass sie schwanger war, nahm sie eine Überdosis.‘ Gleich darauf folgt aber die Wendung ins Komische: ‚Die Sache mit der Überdosis klappte nicht. Doch hätte sie gewusst, wie ich mich entwickeln würde, hätte sie zu Zyanid gegriffen.‘ Die Mischung aus ernstem Inhalt und prahlerischem Lügengeschichtenton ist typisch für Horsleys Stil: Was auch immer er Schlimmes berichtet, wird zugleich doch als Groteskerie gekennzeichnet (…)

Ein Triumph für den Provokateur Horsley war es natürlich, als ihm vor kurzem die amerikanischen Behörden die Einreise verweigerten – angeblich wegen moralischer Verkommenheit, wie es auch im Klappentext des Buches heißt. Ein Artikel im britischen „Guardian“ lässt jedoch auch wissen, dass eine frühere Verurteilung Horsleys wegen Drogenbesitzes bei dieser Zurückweisung eine Rolle spielte. Großartig und wahrhaft dandyesk jedoch die kolportierte Reaktion des Zurückgewiesenen auf das Vorgehen der Grenzbehörde: ‚Die gute Nachricht war, dass sie mein Buch gelesen hatten.‘
Dass Horsley daheim und anderswo so viel Aufsehen erregt, liegt wohl besonders daran, dass er zwischen seinem Buch-Ich und seiner Person keinen Unterschied macht: In Talkshows erscheint er gern mit Frack und Zylinder und pre
ist in sehr gewählten Worten die Vorzüge der Prostitution (…)“

Marcel Proust oder wie der mikroskopische Blick ins Schweifen gerät

Die Wiener Presse bringt ein ausführliches und wunderbares Stück von Rüdiger Görner über die Proust-Biographie von Jean-Yves Tadié. Episch wie das Werk von Proust und damit kongenial. Kostprobe:

„(…) Proust oder wie der mikroskopische Blick ins Schweifen gerät, mit diesen Worten könnten zahllose Kapitel der ‚Recherche‘ überschrieben sein. Was ereignet sich in einem Schriftsteller, der das Erzählen zum Großprojekt am Rande der Unabschließbarkeit werden und doch deutliche kompositorische Strukturen erkennen lässt, die ja bei Proust durchaus ausgeprägt waren? (…) Hat man schon einmal eine Rezension in Fortsetzungen geschrieben? Jean-Yves Tadiés meisterliche Biografie „Marcel Proust“ wäre dafür ein zwingender Anlass, um sicherzustellen, dass diese immense Leistung (einschließlich jener des Übersetzers Max Looser) über einen längeren Zeitraum hinweg präsent bleibt.
Worauf kam es Tadié an? In erster Linie bemühte er sich darum, nicht jenen me-thodischen Fehler zu wiederholen, dem George D. Painter in seiner in zwei Bänden vorgelegten Lebensbeschreibung Prousts (deutsch: 1962 und 1968) erlegen war und der seither vielfach wiederholt wurde, nämlich – in Tadiés Worten – ‚den Roman auszuschlachten, um das Leben zu erklären oder zu verstehen‘. Stattdessen versuchte Tadié, die Quellen von Prousts Schaffen in seinem Leben zu fassen, dieses Leben ‚wie eine Partitur‘ zu lesen, die Spuren von Prousts ‚manischen Freundschaften‘ freizulegen und seine exzessive Mutterbindung in ihrer Bedeutung für das Werk zu bedenken, ohne sich dazu hinreißen zu lassen, voreilige Schlüsse zu ziehen. (Man sollte Proust nicht vorwerfen, dass er Freud nicht gekannt hat!)
Stil bestehe aus Opfern, meint Tadié, und man ahnt, was er damit meint, wenn man sich gelegentlich an einer seiner eigenen stilistischen Eigenarten stößt. Unzählige Male findet sich die Wendung: Proust (oder einer seiner Freunde) sollte (oder wird) dieses oder jenes dann später so und so tun. Der Biograf suggeriert damit grammatikalisch eine Zielgerichtetheit in den verschiedenen Lebensabschnitten und in der Auswertung bestimmter Erfahrungen, die es mit solcher Folgerichtigkeit nicht geben kann. (Wie meinte doch Proust bei Gelegenheit imGespräch mit der Witwe von Georges Bizet: „Es gibt keine Gewissheiten, nicht einmal grammatikalische.“) Überdies unterminiert Tadié diesen Ansatz selbst, indem er (weitaus stärker, als Painter dies je getan hat) seine Biografie in ihren Proust’schen, also kolossalen Ausmaßen eher fragmentarisch strukturiert: Die meisten Unterkapitel sind (gelegentlich irritierend) kurz (…)
Proust faszinierten Dreiecksbeziehungen, zumal solche, in denen bisexuelle Verhältnisse herrschten; kam dazu auch noch Blaublütiges, reizte ihn dies umso mehr, was nicht bedeutet, dass eine bloße Concièrge (oder ihr Sohn) ihn kaltgelassen hätte. Man denke etwa an die Ménagerie im Salon der Princesse Soutzo, die einer Märchenfigur aus Tausendundeiner Nacht glich, oder an die notorische Anna Comtesse de Noailles, die in spätromantischem Stil dichtete, aber ein avantgardistisches Intimleben führte (…)
Und dann gab es noch Robert Comte de Montesquiou-Fezensac, der Proust „sehen“ lehrte, die Gemälde Whistlers und El Grecos und vor allem Watteaus. Er nannte sich einen professeur de beauté, verstand sich als ein doppeltes Wesen; ein Dandy war er, aber auch Kunstkritiker und (mittelmäßiger) Dichter, ein Sammler (auch von Gefühlen) von großer Ausstrahlung. Sie alle wirkten auf Proust und durch ihn auf sein Werk.
Seit seinem neunten Lebensjahr litt Proust an Asthma; der Frühling wurde zu seinem Feind wegen des Pollenflugs; man kannte ihn nur kränkelnd. Er war bekannt für seine Angst vor Zugluft und dafür, dass er nur zu bestimmten Saloneinladungen kam, wenn man ihm versicherte, dass der dort gereichte Tee in einer bestimmten Weise zubereitet war. Und doch war er weder Narziss noch Snob. Was danach aussah, glaubte er seinem Werk schuldig zu sein. Er lebte nach 1905, nachdem er mit seiner Mutter John Ruskin ins Französische übersetzt hatte, für sein Werk, aber das lange ohne Erfolg nach außen. Erklärbar ist nicht oder nur unzureichend, was diesen Willen zum Werk letztlich ausgelöst hat; mutierte Proust doch von einem planlosen Hedonisten, einem „Drifter“ eben, zu einem arbeitsbesessenen Schriftsteller. Zu seinem Laboratorium erklärte er nicht nur die Salons, die Nobelhotels an der Atlantikküste und das Pariser Ritz, sondern auch seine Wohnung, vor allem sein Schlafzimmer, das er mit Korkplatten gegen Geräusche abdichten ließ (…)

Leseempfehlung!
http://diepresse.com/home/spectrum/literatur/494219/index.do?_vl_backlink=/home/spectrum/index.do

Karl Lagerfeld ist auf den Hut gekommen

Aus dem Lookbook von Maison Michel Paris. Photo: Karl Lagerfeld.

Karl Lagerfeld hat das Lookbook der Herbst/Winterkollektion 2009 von Maison Michel Paris photographiert. Das seit 1936 bestehende Traditionslabel entwirft Hüte mit außergewöhnlicher Performance. Die Nonchalance von Lagerfelds Schwarz-Weiß-Aufnahmen erzeugt ein Air, in dem feminine Haarbänder und an die Tradition angelehnte Hüte ihre Rolle finden. Laetita Crahay ist Chefdesignerin für Accessoires und Schmuck bei Chanel und verantwortet Maison Michel. Chef und Wegbegleiter Karl Lagerfeld machte die Photos mit seinen Chanel-Models Lara Stone, Sasha Pivovarova, Olivier Zahm, Milla Jovovich, Lou Doillon, Heidi Mount, Olivier Theyskens und Sean Lennon.

Alle Photos sind zu sehen bei: http://www.fashionologie.com/3427360

Copyright Photo: Maison Michel Paris. All rights reserved.

BELLE BRUMMELL

Karl Lagerfeld orietierte sich für die aktuelle Herbst/ Winter-Kollektion von Chanel an dem größten aller jemals gelebten Dandys: George Bryan (genannt Beau) Brummell (1778-1840). Folglich gab er der Collection den Namen ‚Belle Brummell‘.

„Ich habe an Beau Brummell gedacht“, sagte Karl Lagerfeld in die Kameras bei der Modenschau im Grand Palais in Paris, „aber von einer Coco Chanel-Perspektive aus“. 900 echte VIPs hatten der Brummelliana-Show exklusiv beigewohnt.
Der Modemacher beweist damit ein weiteres Mal seine Verwurzelung in der europäischen Kultur, in besten aristokratophilen Werten. Er nutzt den ersten aller Dandys als Inspirator – in dessen Substanz als Modernisierer der Mode und geistigen Ironiker im Schlegelschen Sinne.

Keynes begann als Dandy

Spiegel online und ein neues Spiegel spezial lassen den britichen Wirtschaftswissenschaftler und liberalen Ordnungsdenker John Maynard Keynes hochleben. Exakt 80 Jahre nach dem großen Crash an der Wallstreet lobt der Spiegel Keynes als Propheten, der bedeutende historische Entwicklungen vorausgesehen habe.

„Keynes Karriere begann nicht als Ökonom, sondern als Dandy im Umkreis Londoner Literaten“, schreibt das Nachrichtenmagazin. „Im Stadtteil Bloomsbury trafen er und einige Freunde sich vor dem Ersten Weltkrieg im Haus der Geschwister Virginia und Vanessa Stephen – erstere sollte als Virginia Woolf eine weltberühmte Schriftstellerin werden. Die Bloomsbury-Gruppe führte das Leben einer intellektuellen Boheme. Auf der Suche nach dem Guten im Leben teilte man literarische, künstlerische, auch politische Interessen – und pflegte nebenbei einen provozierend offenen sexuellen Umgang, in alle Richtungen (...)

Der Leser erfährt den Werdegang eines werdenden Dandys: „Keynes durchlief die typische Elite-Ausbildung: Eton School, dann das renommierte King’s College in Cambridge, wo er Mathematik, klassische Philologie und etwas Wirtschaft studierte, bei dem berühmten Ökonomen Alfred Marshall.“ Wir erinnern uns an die Studien des Urdandys Beau Brummell und Oscar Wilde (nach Eton Oxford).

Der Spiegel weiter: „Bereits 1911 avancierte der erst 28-Jährige zum Herausgeber des „Economic Journal“, einer der weltweit führenden Fachzeitschriften. Dann kam 1914 der Erste Weltkrieg – und ausgerechnet der erklärte Pazifist Keynes wurde im Schatzamt zuständig für Kriegsfinanzierung (…) Nach der deutschen Kapitulation im November entsandte das Finanzministerium Keynes zu den Friedensverhandlungen nach Versailles. Sehr schnell verlor er dort die Illusion, dass es zu einem gerechten oder doch zu einem wirtschaftlich vernünftigen Frieden kommen würde. Und er zog die Konsequenz: Keynes quittierte den Job. Er zog sich in das Landhaus von Freunden zurück und schrieb im Sommer 1919 ein gnadenloses, dabei brillantes Pamphlet mit dem Titel ‚Die ökonomischen Konsequenzen des Friedens‘. Das Buch erschien noch 1919 – und machte Keynes schlagartig berühmt.

Fasziniert verschlangen Leser auf der ganzen Welt das Büchlein, das unübersehbare fachliche Souveränität mit einem eleganten, manchmal empörend herablassenden Stil verband. Im klaren Licht der Keynes’schen Analyse wurde US-Präsident Woodrow Wilson als ein mit der ‚Moral eines protestantischen Geistlichen‘ ausgestatteter, ‚unerfahrener Tor‘ geschildert, der zwar ‚von edlen Absichten beseelt‘, aber ‚ohne Geisteskraft‘ sei (…) Inhaltlich legte Keynes‘ Abhandlung glasklar dar, warum der Frieden scheitern musste: Deutschland, so der Autor, werde die auferlegten Reparationen nur aufbringen können, ‚wenn es seine Einfuhr vermindert und seine Ausfuhr vermehrt und dadurch einen Überschuss erhält, der für Zahlungen an das Ausland verfügbar ist‘. Eine Senkung deutscher Importe war praktisch nur zu Lasten der europäischen Nachbarn möglich, die aber wirtschaftlich auf ihre Exporte nach Deutschland angewiesen waren. Eine Erhöhung der deutschen Exporte wiederum setzte voraus, dass andere Länder die deutsche Waren auch verstärkt abnahmen, also billige deutsche Waren in Milliardenhöhe eigene Produkte wegkonkurrieren ließen (…)

In den zwanziger und dreißiger Jahren pendelte Keynes geschäftig zwischen Cambridge, London und seinem Landsitz Tilton in der Grafschaft Sussex. Er reduzierte seine Lehrverpflichtungen, gewann als Spekulant Millionen an der Börse, war ein gesuchter Ratgeber und Redner sowie ein gefürchteter Publizist. Er fehlte selten bei gesellschaftlichen Anlässen, sammelte eifrig Bilder und Bücher, förderte das Theater wie die Künste – und heiratete 1925 zum Erstaunen nicht nur seiner männlichen Freunde die russische Ballerina Lydia Lopokowa. Wie nebenher veröffentlichte Keynes brillante Studien zur Geldtheorie wie den ‚Tract on Monetary Reform‘ (1923) und ‚Treatise on Money‘ (1930). Im ‚Tract‘ findet sich das wohl bekannteste aller Keynes-Zitate: ‚Langfristig sind wir alle tot‘ (…) Keynes hielt (…) eine Lobrede auf die Verschwendung: ‚Private Laster‘ verwandelten sich in ‚öffentliche Wohltaten‘, so sein Gegenentwurf – denn der Wohlstand eines Landes beruhe nicht auf Sparsamkeit, sondern auf Konsum. Hier zog der Wissenschaftler Keynes nutzen aus der Lebenserfahrung des Privatmannes Keynes, indem er zeigte: Die Lösung liegt nicht in den sterilen viktorianischen Tugendpredigten – sondern im guten Leben der Boheme von Bloomsbury.“

http://einestages.spiegel.de/static/topicalbumbackground/4475/der_prophet_von_cambridge.html

Revolte im Geiste des Dandytums

jetzt, das Jugendmagazin der Süddeutschen Zeitung, rezensiert Blixa Bargelds aktuelles Buch Europa kreuzweise – Eine Litanei:

„Ein ironischer Mega-Snob geht sehr gut essen: Blixa Bargeld vollzieht noch einmal die notwendige Pop-Konterrevolution. Tourtagebücher sind eine besondere, unliterarische Erzählgattung (…)

Wenn in einem Tourtagebuch aber weder andere Stars noch steile Erlebnisse mit nackten und irren Fans auf den geilsten Backstage-Parties aller Zeiten vorkommen, stattdessen Speisekarten von Feinschmeckerrestaurants, einsame Besuche in Gemäldesammlungen und kurze Betrachtungen über die Ursprünge des Korans im Syro-aramäischen, dann handelt es sich um eine Insider-Revolte im Geiste des Dandytums (… )

Blixa Bargeld, Sänger der Einstürzenden Neubauten, ist der alte Punk, der diese neue Punk-Haltung in der dandyesken Verweigerung des Pop-Star-Mainstreams kultiviert. Unter größtmöglicher Vermeidung von Nebensätzen und Ausführlichkeit beschreibt Bargeld in ‚Europa, Kreuzwege, eine Litanei‘ die Tournee der Einstürzenden Neubauten zur Veröffentlichung von ‚Alles Wieder Offen‘ 2008 als knappe Bekenntnisse eines ironischen Mega-Snobs. Tour-Alltag, das heißt für Bargeld vor allem die ständige Sorge, in verdauungstechnisch relevantem Abstand zu dem abendlichen Konzert in den Metropolen Europas noch einen Tisch im besten Restaurant der Stadt zu ergattern. Hier lästert er dann über das ‚übliche Gesocks für ein besterntes Restaurant‘, bestehend aus ‚Politikern, lauten Amis, Russen mit Hosenträgern‘, stellt fest, dass es im besten Restaurant der Welt, dem El Bulli von Ferran Adrià, wo er nicht etwa ein Jahr auf einen Tisch warten musste, wie andere Gäste, sondern sofort bedient wurde, außer einem Hasenohr fast kein Fleisch gibt, und erzählt, wie er im ‚Norma‘ in Kopenhagen dem Koch seinen Respekt auf einem Zettel neben der Kreditkartenabrechnung hinterlassen hat, und ’sowas mach ich selten‘. Völlig ernst gemeint und ungebrochen wäre diese „Tournee de Culinaire“ natürlich unerträglich. Aber es ist das Kennzeichen jedes guten Dandys seit Erfindung dieses Menschenschlags durch Beau Brummell im Regency, dass er seinen vermeintlich überlegenen Stil mit Witz und Ironie gegen kalte Arroganz behandelt. Wer diese feinsinnige Selbstdistanzierung nicht hinbekommt, der gemeindet sich ein in Bargelds „Gesocks“, das einen Besuch im „Fat Duck“ oder „El Bulli“ ebenso humorlos als Statussymbol braucht wie Rapper ihre Ketten, Autos und wackelnden Ärsche (…)
TILL BRIEGLEB

BLIXA BARGELD: Europa kreuzweise. Eine Litanei. Residenz Verlag, St. Pölten 2009. 128 Seiten, 14,90 Euro.

http://jetzt.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/479164

Photo: Residenz Verlag