Joachim Ringelnatz

Zum heutigen Todestag von Joachim Ringelnatz (7. August 1883 – 17. November 1934) sprach dpa mit dem Göttinger Philologie-Professor Frank Möbus. Er bezeichnet den Kabarettisten Joachim Ringelnatz im Privaten als zurückhaltenden Menschen mit dandyesken Zügen.

Möbus: «Sein ernsthaftes Werk stand immer im Schatten des Bühnenzauberers, der er auch war. Er hat oft drei Eineinhalb-Stunden- Programme an einem Abend absolviert. Dafür liebte ihn das breite Publikum. Es ist heute auch nicht einfach, vom Humorigen wegzukommen zum Ernsthaften. Ich war gerade auf Lesereise mit ernsthaften Ringelnatz-Texten. Da war das Publikum erstaunt: ‚Was, so etwas gibt es von ihm auch?’», sagte der Ringelnatz-Forscher der Nachrichtenagentur.

Der private Ringelnatz habe mit dem Bühnen-Star nichts gemein gehabt, sagte Möbus. „Er trug weiße Anzüge und Gamaschen, hatte einen Gehstock. Er war ungewöhnlich sorgfältig herausgeputzt, dandyhaft und eitel. Er liebte teure Weine und Champagner. Er hat das Geld in vollen Zügen ausgegeben, verkehrte mit berühmten Leuten wie Max Schmeling und Asta Nielsen. Mit dem abgerissenen Seemann von der Bühne hatte er nichts gemein.“

http://www.hertener-allgemeine.de/freizeit/buecher/Megastar-und-Dandy-Joachim-Ringelnatz;art251,57624

Joachim Ringelnatz hieß eigentlich Hans Bötticher. Er wurde am 7. August 1883 in Wurzen bei Leipzig geboren. Zunächst schlug er sich mit verschiedenen Professionen durch: Leichtmatrose, Gelegenheitsarbeiter, Arbeitsloser, Obdachloser, Kommis, Buchhalter sind nur einige Berufe, die er probierte. 1920 legte er sich den Namen Joachim Ringelnatz zu und tingelte er als reisender Artist im Matrosenanzug durch die Kabaretts in ganz Deutschland und trug seine Gedichte vor. Auch seine Bücher – am bekanntesten wurden die Erlebnisse des Seefahrers Kuttel Daddeldu – wurden zu Erfolgen. 1933 verbaten ihm die Nazis das Auftreten.

Weiterführend: http://ringelnatz-verein.de/blog/

Photograph unbekannt.

Dandy-Photo


Hier ein Photo von dem italienischen Dandy-Blog von Roberto Pignoni.  Es stammt von Duncan Quinn.
© Duncan Quinn 2009

http://tuttidandy.blogspot.com/2009/11/dandy-photo.html

Melancholiker Morrissey

Zum heutigen Berlin-Konzert des Oscar Wilde-Fans Morrissey bringt die taz eine Rezension zweier neuer biographischer Bücher über den Brit-Pop-Gentleman:

„Morrissey, der seine Schüchternheit in Interviews gern mit einem gewissen Snobismus überspielt, wird gleich zu Beginn der Teestunde sentimental: ‚Das Cadogan bedeutet mir bekanntlich sehr viel … hier zu sitzen und Oscars Fernseher anzuschauen und genau den Videorekorder, auf dem er sich ,Leather Boys‘ angesehen hat.‘ Wer nicht recht weiß, was britischer Humor ist – beim Melancholiker Morrissey kann er in die Lehre gehen.

Fast 400 Seiten stark ist Len Browns biografische Annäherung an den Popstar; verschiedene Interviews dienen ihr als Primärquelle (…)

Die Darstellung krankt zuweilen ein bisschen an der Sprache; der Klischeebaukasten des Rockjournalisten bietet auch im 21. Jahrhundert noch ziemlich viel Material, und in der Übersetzung ächzt es an der einen oder anderen Stelle, ganz abgesehen von dem etwas schlampigen Lektorat. Aber insgesamt liest man das Gespräch doch mit einigem Vergnügen, weil es tatsächlich um das Werk und die Entschlüsselung einer Künstlerrolle geht.

Es werden viele, auch subtile Bezüge von Morrisseys Musik und Texten zu Sängerinnen und britischen Fernsehshows der Sechzigerjahre aufgezeigt, zu seinem Geburtsort Manchester und natürlich zu den Glamrock-Bands der Siebziger. Der Autor müht sich zudem redlich, nicht in die Boulevardfalle zu tappen und etwa Morrisseys sexuelle Ambiguität in Eindeutigkeit überführen zu wollen – obwohl das Thema immer wieder gestreift wird.

(…) Gavin Hopps hat ebenfalls seinen Wilde gelesen, daneben aber auch Judith Butler und Jacques Derrida (…)

Hopps, der als „Dozent am Institute for Theology, Imagination and the Arts“ der schottischen St.-Andrews-Universität lehrt, wählt freilich einen ganz anderen Ansatz als Brown: Er geht als Kultur- und Literaturwissenschaftler von den Songs aus und betrachtet Morrissey als „lebendes Zeichen“ – als frei flottierendes Identitätsbündel, das freilich nie ganz zu entziffern ist.

Morrisseys Songtexte misst Hopps an kanonisierten Autoren wie Samuel Beckett, John Betjeman, Philip Larkin oder Oscar Wilde – und versucht damit seine These zu untermauern, der 50-Jährige sei „unzweifelhaft der literarischste Sänger in der Geschichte britischer Popmusik“.

Morrissey wird bei Hopps zum aufgeklärten Romantiker, der mit den Zeichen des Pop nicht nur zu spielen versteht, sondern diese wiederum zitiert. So mache sich der Sänger über den Impuls der Auflehnung und des Nichtdazugehörenwollens, dem Morrissey wie kaum ein anderer folgt, als überkommenen Gestus des Pop zugleich lustig.

Bei Morrissey muss selbst das ausgestellte Leiden an den Zeitgenossen und dem eigenen schwachen Ich als „meta suffering“ interpretiert werden. So streift Hopps immer nah am lyrischen Material die diversen Themen der Songs – vom Katholizismus bis zur Homosexualität, von der „Kunst der Schwäche“ bis zur „Treue zum Scheitern“.

http://www.taz.de/1/leben/musik/artikel/1/der-poet-der-frisbeescheibe/

Len Brown: „Im Gespräch mit Morrissey“. Aus dem Englischen von Henning Dedekind und Karin Lembke.
Hannibal, Höfen 2009, 422 Seiten, 29,90 €

Gavin Hopps: „Morrissey. The Pageant of his Bleeding Heart“. Continuum Books, New York 2009, 302 Seiten, 16,95 €




Rainald Goetz – loslabern




Der DANDY-CLUB rezensiert das neue Buch von Rainald Goetz: loslabern, Suhrkamp Verlag 2009, 187 Seiten, 17,80 Euro.


Rainald Goetz ist Zeuge. Zeitzeuge, sagt man heute wohl. Und er ist erschreckend ehrlich. Wahrscheinlich führt diese Offenheit zu seinen guten Auflagen. Da müssen die Herrschaften des Medienzirkusses erstmal gucken, wo ein Buchladen ist, sich einen oder mehrere Tage (je nach Umfang des gerade Veröffentlichten) krank melden (denn die meisten sind ja Angestellte – „Leitende“, versteht sich) und nachlesen, ob er sie vernichtet – sprich oft lebensnah beschrieben hat.


Um es vorweg zu nehmen: Echte verbale, nun literarische, hissy fits sind nicht drin im neuen tagebuchähnlichen loslabern. Loslabern erzählt in drei Kapiteln (1. Reise; 2. Herbstempfang 2008; 3. Der Jüngling) Geschichten aus »dieser grandios durchgeknallten Zeit« (Verlagstext). Es ist die Weiterschreibung von »Klage«, dem Berichtsband über den irrwitzigen Wahnsinn namens Leben aus dem vergangenen Jahr. Große Passagen des kleinen Bandes mit dem Untertitel »Bericht« sind Selbstgespräche/ Monologe/ Rechtfertigungen vor sich selbst und vor einer unbestimmten, unbekannten Leserschaft-Öffentlichkeit. Deren Motivation/ Hintergrund/ Motiv-? ist wohl jeweils die Höflichkeit/ Feigheit/ das Sozialverhalten seines Ich, das es ihm im Moment der Begegnung verbietet, dem Getroffenen zu offenbaren, dass dessen gerade Publiziertes für ihn absolute Scheiße darstellt.


Grandios ist ein Satz, der über zwei Seiten geht. Goetz trifft Sloterdijk. »Ich erzählte Sloterdijk (…) als wie unglaublich fürchterlich, falsch, im Gegenteil, als wie unglaublich inspirierend ich seine hier in der neuen Revolutions-Faz unter irgendeinem neuerlichen Revolutionstitel neulich veröffentlichten Ideen zu der von ihm so genannten gebenden Hand, der nichtöffentlichen, der nicht nehmenden, der gebenden Hand also, gefunden hätte, vor allem natürlich dieses Bild mit den Händen, mit der Hand, diese Auswalzung des Begriffs von der öffentlichen Hand zu dem Bild von den gebenden und nehmenden Händen hätte es mir als Arzt und Hobbydarwin besonders angetan, damit könne man wirklich arbeiten, mit diesem Bild, mit diesen Händen, nur die von ihm mittels dieser herrlichen Hände herbeigezogenen Ideen müsste man sich wohl doch noch einmal ein bisschen genauer anschauen vielleicht (…)«


Grandios auch Goetzens Schilderung des für ihn traumatisch erlebten Herbstempfanges der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Durch Zufall stolpert er in einen großen Saal, wo Kanzlerin Merkel vor der devot-andächtig lauschenden Führungsmannschaft der Zeitung doziert. Eigentlich suchte der studierte Arzt Goetz ja nur die Garderobe, weil er in seiner Manteltasche die Zigaretten vergessen hatte. Aber nun wird er durch diesen Zufall Zeuge einer von ihm so wahrgenommenen Unterwürfigkeit, die ihn erschüttert. Rainald Goetz schreibt an einer Stelle von dem »extremen Wirklichkeitsüberdruck« dieser Tage. Das könnte als Überschrift stehen über dem Bericht einer beschleunigten Welt, in der viele immer hektischer agieren, ohne dass ihnen die totale Bedeutungslosigkeit ihres Tuns bewusst wird.


Mitte der neunziger Jahre klebte an einer heruntergekommenen Haustür im Berliner Prenzlauer Berg ein Zettel. Auf ihm informierte ein Mieter seine Nachbarn über den Tod des Angehörigen und Ort und Zeit der Beerdigung. Einer schrieb mit Edding unter die Todesnachricht: »Interessiert ja tierisch!« Unter die Beerdigungsdaten: »Komme auch«.




Auktion bei Zisska & Schauer

Bulwer-Lyttons The Pilgrims of the Rhine von 1834

Noch bis morgen (11. – 13. November 2009) kommen bei Zisska & Schauer in München dutzende von hochinteressanten Büchern, Autographen, Bildern und anderes zur Versteigerung. Darunter auch diese abgebildete Ausgabe von Bulwer-Lyttons The Pilgrims of the Rhine von Saunders aus dem Jahr 1834. Außerdem ein Potrait Schopenhauers, das bislang als verschollen galt, eine Original-Quittung von Goethe, Widmungsexemplare von Hermann Hesse &C. &C.

Online-Katalog: http://www.zisska.de/nav04_05.html#katalog

Photo: Copyright Zisska & Schauer. All rights reserved.

Serenus M. Brezengang zum 80.

Die Neue Züricher Zeitung gratuliert Hans Magnus Enzensberger auf eigene nonchalante Art: Sie bringt die Pseudonyme von HME und zeigt so, wie umfangreich sein Oevre wirklich ist:

„Andreas Thalmayr ist vermutlich das bekannteste der Enzensbergerschen Pseudonyme, und am ehesten wird es mit seiner erfolgreichen Anthologie «Das Wasserzeichen der Poesie» (1985) in Verbindung gebracht. Andreas Thalmayr ist auch der Verfasser von «Lyrik nervt» (2004), im Untertitel «Erste Hilfe für gestresste Leser», und der sehr unterhaltsamen kleinen Schrift «Heraus mit der Sprache» (2005), in welcher, nun ja: Hans Magnus Enzensberger eine Reihe von klugen und oft auch ernüchternden Bemerkungen zur Sprache macht, zur deutschen vor allem. Andreas Thalmayr hat auch einmal eine «Kleine Kulturgeschichte in Schüttelreimen» publiziert: «Es schwärmten kaum für Schweinehirten / die Damen, die um Heine schwirrten.» Oder: «Man sagt sich: Ich vergesse halt, / wie viel mir Hermann Hesse galt.» Oder: «Ob’s Péter Esterházy störte, / wenn seinen Hohn die Stasi hörte?». In «Das Wasserzeichen der Poesie» lässt Thalmayr auch einen gewissen Serenus M. Brezengang als Autor und Übersetzer mitarbeiten. Der Name, ein Anagramm, steht hier für experimentelle Versuche an Gedichten.

Unter dem Namen Elisabeth Ambras ist der Autor sogar Autorin geworden. Warum sie unter Pseudonym schreibt, begründet sie gleich selbst: «Mein Mann möchte, dass ich auf etwas Rücksicht nehme, das er seine nennt (…)

‚Bisher keine Veröffentlichungen (ausser Diplomarbeit)‘ heisst es in einem anderen Fall, bei den biografischen Angaben zu einem gewissen Giorgio Pellizzi. 1934 in Sizilien geboren, studierte Germanistik und Nationalökonomie in Turin und Köln: ‚Aktiv an der italienischen Studentenbewegung teilgenommen. Arbeitet augenblicklich an einer Untersuchung über die multinationalen Konzerne und lebt zur Zeit in Mailand und Amsterdam.‘ (…)

Die Liste der Pseudonyme liesse sich fortsetzen. Etwa mit Benedikt Pfaff: Der Name steht unter einigen Übersetzungen, von Texten von Donald Barthelme oder Lawrence Ferlinghetti. Pfaff ist dem Vernehmen nach ein Spitzname des Autors. Oder Trevisa Buddensiek, auch das ein kurzzeitig genutztes Pseudonym von Enzensberger (…).“

Das gesamte lesenswerte Stück findet sich hier:
http://www.nzz.ch/nachrichten/kultur/aktuell/die_wasserzeichen_der_poesie_1.3999578.html

Bild: http://farm1.static.flickr.com/55/162805429_735275fa8f.jpg. All rights reserved.

Hans Magnus Enzensberger zum 80.

Das Plakat des Suhrkamp Verlags zum 80. Geburtstag von Hans Magnus Enzensberger

Der DANDY-CLUB gratuliert Hans Magnus Enzensberger zum 80. Geburtstag. Der Schriftsteller gilt als der einflussreichste Intellektuele in Deutschland nach 1945.

In seinem Essay „Mittelmaß und Wahn“ stellte er der bundesdeutschen Gesellschaft sein Zeugnis aus: „Mittelmäßig sind ihre Machthaber und ihre Kunstwerke, ihre Repräsentanten und ihr Geschmack, ihre Freuden, ihre Meinungen, ihre Architektur, ihre Medien, ihre Ängste, Laster, Leiden, und Gebräuche.“ Zu den Eliten: „Die Reichen zeichnen sich nur noch durch einen einzigen gemeinsamen Nenner aus: sie haben mehr Geld. Sie verfügen über kein eigenes Klassenbewußtsein, keinen eigenen Stil, keine eigene Ideologie, kein Prestige außerhalb der ökonomischen Sphäre. Titel und Ränge spielen keine Rolle. Ein Gummihändler gilt soviel wie ein General, ein Koch soviel wie ein Universitätsprofessor, ein Fußballtrainer aus dem zweiten Glied soviel wie ein Minister“

Man kennt die alten Fotos der Gruppe 47. Der junge Schriftsteller fiel aufgrund seiner tadellosen Kleidung hier immer aus dem Rahmen. In den 60ern des vorigen Jahrhunderts galt ein Anzug mit Hemd und Krawatte in seinem Umfeld als Symbol der Bourgeoisie. Auch als es in den 70er Jahren in Literatenkreisen immer weniger opportun wurde, eine Krawatte zu tragen, änderte Enzensberger sein Verhalten nicht. György Konrad hat später Enzensbergers Schlips als „Schal vom Feinsten“ bezeichnet. Auch mit seinen Standpunkten blieb der 1929 geborene Schriftsteller – eines Dandys gemäß – immer unberechenbar. Wegen seiner Verteidigung des US-amerikanischen Angriffs auf den Irak wurde er von einer Zeitung als Polit-Dandy gescholten. Der Standpunkt der Minderheit und Opposition scheint ihm zu gefallen.

Enzensberger hat im Laufe der vielen Jahrzehnte seines Schaffens kaum etwas nicht gemacht. Er hat Gedichte und Prosa geschrieben, Anthologien herausgegeben, mehrere Zeitschriften begründet und für das Radio gearbeitet. Kritiker sehen eine der wesentlichen Quellen seiner Kreativität in der Fähigkeit, sich niemals vereinnahmen zu lassen. 1985 gründete er die Andere Bibliothek, eine Buchreihe, in der besondere, abgelegene Werke eine Möglichkeit der (Wieder-)Veröffentlichung erhalten. Jeder Dandy ist ein Liebhaber schöner Bücher. Es gibt von jedem Band dieser Reihe eine Vorzugsausgabe nur für Abonnenten, die bibliophil gestaltet ist.

Wohl kein Zufall: Ein Buch der Reihe macht den Deutschen bezüglich ihrer Manieren Beine. Der Autor ist ein äthiopischer Prinz. Aus dem Klappentext: „Über die Zähigkeit der Manieren kann man sich wundern, ärgern oder freuen. Radikale Demokraten betrachten sie als eine Art stillen Skandal, weil sie gegen das heilige Gebot der Gleichheit verstoßen.“ Nicht ohne Grund hat TV-Dandy Harald Schmid sein Publikum vor Jahren Enzensberger zum Geburtstag applaudieren lassen.

Herzlichen Glückwunsch Hans Magnus Enzensberger zum 80. Geburtstag!

Interessante Gratulationen:
http://www.zeit.de/2009/46/01-Hans-Magnus-Enzensberger
http://www.taz.de/1/leben/koepfe/artikel/1/fuer-immer-jung/
http://www.haz.de/Nachrichten/Feuilleton/Uebersicht/Hans-Magnus-Enzensberger-Ein-Lob-der-Inkonsequenz

Historisch:
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-45141155.html

Kollektionen, Photos und Bücher

Der berühmteste Deutsche: Der Pariser Karl Lagerfeld

Nach einer Vorabmeldung des Magazins Elle Decoration hält sich Karl Lagerfeld für einen „ziemlich bescheidenen“ Menschen. Er habe „gar nicht die Zeit für so viele Dinge, die andere machen: Urlaub, Yachten und so„, sagte der 71-Jährige im Interview. Lagerfeld schätze sich glücklich, seinen Leidenschaften frönen zu können: „Kollektionen, Fotos und Bücher. Das interessiert mich. Der Rest ist mir egal„, sagte der Chanel-Chefdesigner.

Lagerfeld betonte ein wiederholtes Mal, er schätze es, allein zu sein. Einerseits müsse er seine Batterien aufladen, andererseits sei er nicht daran gewöhnt, Rücksicht auf andere zu nehmen. „Das ist nicht immer einfach für die Menschen, die ich mag. Und die mich mögen.“

Photo. Copyright Tmmy Degrinol. All rights reserved.

Was ist der Dandy?

Fernand Hörner, Dozent für französische Literatur- und Kulturwissenschaft in Wuppertal, geht davon aus, „dass sich für die Behauptungen des Dandys ein gemeinsames Zusammenspiel verschiedener Taktiken der Behauptung formulieren lässt, ähnlich wie Foucault in der Archéologie du savoir Formationsregeln für einen Wissenschaftsdiskurs formuliert“. Seine Untersuchung setzt einen neuen Maßstab in Sachen wissenschaftliches Dandytum.

„Éternelle supériorité du Dandy. Qu’est-ce que le dandy? (Ewige Überlegenheit des Dandys. Was ist der Dandy?)“, fragte Charles Baudelaire in den Fusées und traf damit den Nagel Dandytum auf den Kopf. Das Dandytum, das wie ein Stachel im Fleisch der Moderne sitzt. Fernand Hörner geht in seiner Studie den Phänomen des dandysme nach: Zu diesen Phänomen gehört, dass das Dandytum permanent für tot erklärt wird und viele Untersuchungen mit dem Fazit enden, das Dandytum sei längst erledigt. Heute könne niemand mehr Dandy sein. Entweder weil der Ur-Dandy George Brummell unkopierbar sei oder weil die moderne Massengesellschaft mit ihrer Mode von der (Kaufhaus)-Stange keinerlei dandyistisches Sein mehr zulasse.

Aufgrund aufwendiger Quellenstudien gelingt es Hörner, die substanzielle Arbeit von Otto Mann Der moderne Dandy, der damit 1924 bei Karl Jaspers promovierte, weiterzuführen. So gelingt ihm die Darstellung, warum Oscar Wilde, trotz seiner Erscheinung als „Karikatur dieses Ideals“ (Gerd-Klaus Kaltenbrunner) eben doch ein waschechter Dandy war. Mit seinem einzigen Roman Dorian Gray erweist Wilde seinen Dandy-Vorfahren vielfache Referenzen. Nicht nur liefert Vivian Grey, der Roman des mit Wilde befreundeten Benjamin Disraeli, den Nachnamen seines Romanjünglings. Die ästhetisch-ausschweifenden Feste von Dorian sind eine Anspielung auf die Feste von Byron in Newstead Abbey. Wilde verweist ausdrücklich auf Gautier, wenn er Dorian beschreibt, für ihn sei das Leben als solches die erste aller Künste. „Dorians Sinn für Ästhetik wird so mit Gautiers Faszination für ästhetische Eindrücke verglichen, wie er sie […] gegenüber den Goncourts zum Ausdruck bringt. Die Definition des Dandyismus als Versuch, die Modernität des Schönen zu erreichen, wiederholt Baudelaires Definition des Dandys, die Wilde auch im Theaterstück A Women of No Importance aufnimmt.“

In vielen eindrucksvollen Teil-Untersuchungen nähert sich der Autor der „Behauptung des Dandys“. Zu dieser Behauptung gehört auch das Übersetzen und sozusagen Über-Setzen. Denn viele Dandys waren zugleich Dandy-Schriftsteller und -Übersetzer. Die kleine, aber große Wirkung erzielende Studie vom exzentrischen Dandy Barbey d’Aurevilly über Brummell basiert in Teilen auf der Anekdoten-Sammlung von William Jesse (The Life of Beau Brummell), die es nicht in Französisch gab. So konnte Barbey die Überlieferungen des Bekannten von Brummell sich selbst nutzbar machen und poetisch-interpretierend weiter-schreiben. Hörner stellt dar, dass es neben dem sprachlichen Transfer, eine wichtige Zeitlang von der englischen in die französische Sprache, auch der personelle Transfer war, der das Dandytum stark beeinflusste: „Viele Franzosen, wie Chateaubriand oder de Stael, verließen Frankreich während der französischen Revolution oder des Empire, kehrten später zurück und brachten ihr Verständnis der englischen Lebensart nach Frankreich. Auf der anderen Seite kamen viele Engländer, um (zumindest zeitweise) in Frankreich zu leben, im Jahr 1830 stieg ihre Zahl auf 31.000. Der mit Brummell befreundete Rees Howell Gronow widmet in seinen Reminiscences and Recollections ein ganzes Kapitel dem Thema ‚An English Dandy in Paris’, in dem er diese Überschneidung der englischen mit der französischen Gesellschaft thematisiert.“

Totgesagte leben länger. Hörner empfiehlt für eine eingehendere Untersuchung ob ihres Dandytums die Künstler Théodore Géricault, Gustave Courbet, Fernand Khnopff, Manet, Marcel Duchamp, Andy Warhol, Jacques Monory, Gilbert & George und die Professoren der Düsseldorfer Kunstakademie Joseph Beuys, Jörg Immendorff und Markus Lüpertz.

Bei dem Umfang der Studie und dem augenscheinlichen Aufwand, den Hörner betrieben hat, wäre es absolut kleinlich, auf manchmal fehlende Quellen hinzuweisen. Die Untersuchung kann durchaus als bahnbrechend bezeichnet werden. Vorliegende Werke wie die von Hans-Joachim Schickedanz (Ästhetische Rebellion und rebellische Ästheten, 2000) oder Günter Erbes Dandys – Virtuosen der Lebenskunst (2002) werden vollkommen in den Schatten gestellt. Vom Tiefgang der Untersuchung ist die neue Studie am ehesten vergleichbar mit Hiltrud Gnügs fulminanter literaturwissenschaftlicher Arbeit Kult der Kälte von 1988. Aber diese beschränkt sich eben auf einen recht kleinen Ausschnitt.

Fernand Hörners profundes Quellenwerk setzt im Moment den Maßstab in Sachen wissenschaftliches Dandytum. Es ist Ansporn, an vielen Punkten weiterzuforschen. Bleibt die Frage: Qu’est-ce que le dandy?

Fernand Hörner: Die Behauptung des Dandys. Eine Archäologie. Transcript Verlag 2008. 354 S., Euro 34,80.

Dorian Gray – The Dark Side of the Beauty in Chemnitz

Peter Herrmann. All rights reserved.

Die Neue Sächsische Galerie in Chemnitz lädt zu einer Ausstellung über die dunkle Seite des Schönen. Der Text des Museums:

„DORIAN GRAY – THE DARK SIDE OF BEAUTY
Arbeiten sächsischer Künstler zu Oscar Wildes Roman
Wer lebte nicht gern im Zustand der andauernden Jugend, der ewigen Unschuld und der eitlen Bewunderung durch seine Umgebung. Die literarische Figur Oscar Wildes erfährt jene Leichtigkeit des Lebens bis zu ihrer Unerträglichkeit und scheitert an ihr. Dorian Gray verkörpert eine Utopie rücksichtsloser aber letztlich substanzloser Selbstverwirklichung. Von der polarisierenden Kraft der Hauptfigur her ist die Auswahl der Arbeiten für die Ausstellung getragen. Zwanzig Künstler verschiedener Genres wurden auf das Echo Dorian Grays in ihrem Werk befragt. Neue Arbeiten sind gezielt entstanden, ältere haben ihre Relevanz entfaltet. Alle verbindet ein entschiedener Gestus und das stark ausgeprägte reflektorische Element. Beteiligte Künstler: Andreas Dress, Heidemarie Dreßel, Heribert Friedl, Peter Herrmann, Panja Hillert, Susann Hoch, Olaf Holzapfel, Elke Hopfe, Jürgen Höritzsch, Jan Kummer, Michael Kunert, Florian Merkel, Rolf Münzner, Akos Novaky, Vlado Ondrej, Jana Ressel/Friedemann Stolte, Thea Richter, Stefanie Schilling, Anija Seedler, Karola Smy und Silvio Zesch.“

http://www.nsg-chemnitz.de