Die einundzwanzigste Etappe zitiert den Ökonom Schumpeter
© Etappe 2013
»Innerhalb des Abendlandes diskutiert seit vier Jahrzehnten dieselbe Gruppe von Köpfen über dieselbe Gruppe von Problemen mit derselben Gruppe von Argumenten unter Zuhilfenahme von derselben Gruppe von Kausal- und Konditionalsätzen und kommt zu derselben Gruppe von Ergebnissen , die sie Synthese, sei es von Nicht-Ergebnissen, die sie dann Krise nennt – das Ganze wirkt schon etwas abgespielt, wie ein bewährtes Libretto, es wirkt erstarrt und scholastisch, es wirkt wie eine Typik aus Kulisse und Staub«, schrieb der Lyriker Gottfried Benn 1949.
Er gibt mit dieser nunmehr über 60 Jahre alten Zustandsbeschreibung zugleich das Libretto und den geistigen Rahmen der Einundzwanzigsten Etappe, die diesen Ausschnitt quasi als Motto auf den Innenseiten abdruckt. Der Untertitel der Zeitschrift lautet »Organon für Politik, Kultur & Wissenschaft«. Früher, wo manches besser war und vieles anders, stand noch im Impressum: »Erscheinen nach Bedarf«. Nun scheint der Bedarf jedoch die Leistungsfähigkeit von Herausgeber und Autoren derart zu überfordern, dass die Etappe jetzt »in zwangloser Folge« herauskommt, was man ihnen durchaus nachsehen kann. Diese Formulierung ist auch Indiz für das, was dieses Periodikum auszumachen scheint: Die Paarung von hohem intellektuellem Niveau mit einer gewissen selbstironischen Nonchalance.
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung schrieb vor einigen Jahren, die Etappe sei »derzeit wohl das anspruchvollste und interessanteste Forum der rechtskonservativen deutschen Intelligenz – die sich nicht selten aus der Linken der sechziger und siebziger Jahre rekrutiert«. Das ist ein Lob, das adelt. Nun ist es mit politischen Zuschreibungen immer so eine Sache. Intellektuelle, Denker oder Wissenschaftler, die die Macher als Anreger selbst nennen sind unter anderen Georges Sorel, Max Scheler, Carl Schmitt und Ernst Jünger. Doch wird schon die Schubladisierung von Max Stirner in diese politische Richtung fragwürdig. Seine bekannte Schrift Der Einzige und sein Eigentum wird heute häufig missverstanden. Aber wie verhält es sich erst mit dem ebenfalls angeführten Friedrich Engels?
Die einundzwanzigste Etappe enthält etwa ein halbes Dutzend umfangreicher Aufsätze und einige kürzere. Walter Seitter befasst sich mit Friedrich Kittler und bringt noch einmal eine Aussage von Klaus Lemke aus dem Jahr 2011, die damals nicht jeder mitbekommen hat, der es jedoch an Süffisanz nicht mangelt: »In Heideggers berühmtestes Proseminar ‚Was ist Philosophie?‘ kam man nur rein, wenn man in einer Verbindung war: In Freiburg waren nur Alkoholiker und Burschenschaften. So bin ich dem Alkohol verfallen und habe Heidegger gehört.«
Der Staatsrechtler Josef Schüßlburner setzt seine Aufsatzreihe »Staatliche Transzendenz in der BRD« fort mit Teil 5: »Mythenpluralismus«. Thomas Kuzias untersucht in seinem Beitrag das Verhältnis von Nietzsche und Marx beim jungen Georg Lukács. Ungewöhnlich für unsere doch angeblich so oberflächliche Zeit ist allein der Umfang der Beiträge, die schon mal 20 Seiten überschreiten. Da lässt sich ein Thema abhandeln, da lassen sich Ideen abwägen und entwickeln, ohne gleich wieder zum Schluss kommen zu müssen. In »Affirmation statt Negation« fordert Wolfgang Caspart dazu auf, den Kopf nicht in den Sand zu stecken, sondern sich vielmehr auf Kommendes vorbereitet zu zeigen. Der Autor plädiert dafür, Amtsträger nur dann zu berufen, wenn sie sich in ihrem bisherigen Leben durch allgemein anerkannte Leistungen und aufgrund »öffentlichen Verdienstes« dafür qualifiziert hätten. Er zitiert den vorigen italienischen Ministerpräsidenten Monti mit dessen Begründung seines Kabinetts aus Fachleuten und nicht Parteiquoten-Gewinnlern: »Ich bin zum Schluss gekommen, dass die Abwesenheit von Politikern der Regierung die Arbeit erleichtert, denn so ist ein Grund für Befangenheit beseitigt.«
Ein wunderbares Fundstück ist Über die Kochkunst der späten Griechen von Jacob Burckhardt, dessen Wiederlektüre ein Genuss ist: »Allein in einer so hochgebildeten Zeit und Luft, wie die athenische des IV. Jahrhunderts war, nimmt auch der Koch wissenschaftliche und poetische Manieren an, und die Komödie, welche ihn von dieser Seite ganz besonders gerne lächerlich macht, belehrt uns damit, wie weltabwärts sich damals die vornehmen Bildungsprätensionen erstreckten. Der Mietkoch stellt sich so hoch als der Dichter an Geist und Kunst; wenn der Herr, der ihn eingestellt, sich darüber beklagt, daß er beständig in homerischen Ausdrücken rede, so erwidert er: ‚Ich bin es so gewohnt.’«
Was wir in der neuesten Etappe lediglich vermissen, ist die früher übliche Longdring-Empfehlung. Schade.
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