Die Bremer Literaturzeitschrift Krachkultur bringt ihre 13. Ausgabe
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Unter einem Photo einer Collage von Fabian Reimann in der neusten Ausgabe von Krachkultur steht:
»Ich fand heraus, daß die Gründe für die Vulgaritäten der Zivilisation viel tiefer lagen, als ich gedacht hatte. Schritt für Schritt wurde ich zu der Schlußfolgerung getrieben, daß sie der Ausdruck einer unserer Moral innewohnenden Schwäche sind, die uns durch die gegenwärtigen Gesellschaften aufgezwungen wird, und daß es nutzlos ist zu versuchen, lediglich von außen mit diesen Häßlichkeiten zu Rande zu kommen …«
Dies könnte als Motto über der neuesten Nummer der Bremer Literaturzeitschrift stehen. Dazu passt auch, dass Reimann als Autor zwar William Morris nennt, – jedoch hinzufügt: »Quelle verbummelt«. Es ist diese Grundehrlichkeit, die den Reiz der Kultzeitschrift ausmacht. Verzeihung. Dieser Begriff ist wahrlich abgelutscht. Dennoch gebrauchen wir ihn hier. Uns fällt kein besserer ein.
Und mutig sind sie auch noch, die beiden jungen Herausgeber Martin Brinkmann und Fabian Reimann. So ist quasi Starautor der Ausgabe 13 kein Geringerer als der sehr schillernde Edward Limonow. Von dem liest man mehrere zum erstenmal ins Deutsche übertragene Stücke, allesamt Auszüge aus bislang nicht übersetzten Büchern. Der Schriftsteller und Politiker, der »das Beste von Hitler und Stalin« zusammenbringen möchte, schreibt in einem autobiographischen Roman über seine Zeit in einem heruntergekommenen Hotel in New York: »Klar, theoretisch weiß man, dass das Leben auch in Auschwitz weitergeht. Nur wird man sich ja nie davon überzeugen können, ob man in Auschwitz überlebt hätte. Auch über das Thema ‚Wie kann man als einziger Weißer unter lauter Schwarzen in einem Hotel leben‘ hatte ich mir noch nie Gedanken gemacht.«
Das Cover von Krachkultur 13 spiegelt seinen Leser
Limonow ist aufgewachsen in einer ukrainischen Kleinstadt, siedelte als Jugendlicher nach Moskau über, wo er sich zunächst als Arbeiter durchschlug. Da er sein Leben lang schrieb, suchte er Kontakt zum literarischen Untergrund. 1974 wurde er als Dissident aus der Sowjetunion ausgewiesen. Limonow ging in die USA. Hier bewahrte er sich seinen kritischen Geist. Er sah die Zustände als nicht besser als in seiner Heimat an, doch sei die Manipulation perfektioniert. So hatte er Schwierigkeiten, seine Texte in den USA zu publizieren. Seinen in Deutschland unter dem Titel Fuck Off, Amerika bekannten Roman schrieb er 1976 und fand erst 1979 einen Verleger in Frankreich. 1994 gründete er die Nationalbolschewistische Partei Russlands (NBP). Diese agierte massiv antiamerikanisch und antikapitalistisch und wurde 2005 vom russischen Innenministerium verboten.
Limonow schildert seine Erfahrungen in dem Hotel ungefiltert: »Die Schwarzen sehen noch das Tier in dir, das haben sie noch drauf. Sie checken deine Bewegungen, das Muskelspiel auf deinem Gesicht. Die kriegen die kleinste Angst in dir mit. Da kannst du schauspielern, wie du willst Whitey, mein kleiner Weißer. Die geringste Unsicherheit, Unterwürfigkeit, Unruhe wird erkannt.«
Barbara Lehmann schreibt in ihrer »Nachbemerkung zu Edward Limonow«, der sei »rebellisch, degoutant, aggressiv, zärtlich, egoman, genial«. Ihre knapp zwei Seiten lesen sich wie ein Satz. Vielleicht ist es auch nur einer. Worte wie aus einem Maschinengewehr abgefeuert. Schnell, stakkatoartig. Ohne Pause. Ohne Unterlass.
Erwähnenswert wäre noch so einiges in dieser neuen Krachkultur. Zum Beispiel Denton Welchs »Als ich Kunst studierte« (»… die Angst vor meinen eigenen Gedanken und die Angst vor der Leere und die Angst davor, keinen Kontakt zu anderen Menschen zu haben …«). Oder Ragnar Hovland: »Er hatte eine Weile nachgedacht über all die hübschen Mädchen, die schließlich bei den übelsten Arschlöchern endeten, sie heirateten, ihnen Kinder gebaren, geschlagen wurden, Alkohol tranken und schon nach wenigen Jahren alt und verbraucht aussahen.«
Erwähnen wir noch – last but not least – das schöne Stück von Wolf Reiser über Wondratschek, in dem der Autor über seine Treffen mit dem schon damals berühmten Schriftsteller in dessen Stammbar, dem Schumanns in München berichtet.
Krachkultur Ausgabe 13: gewagt, berührend & totaly incorrect.
Krachkultur 13/ 2010.
Hrsg. von Martin Brinkmann und Fabian Reimann.
184 Seiten. Paperback.
Bilder: © Krachkultur. All rights reserved.