Botho Strauß zum 70. Geburtstag

Ein großes Buch – so klein: Botho Strauß‘ Herkunft
© Hanser Verlag 2014

 

 

 

Der DANDY-CLUB gratuliert Botho Strauß zum 70. Geburtstag.

 

Wir empfehlen sein jüngstes Buch:
Botho Strauß, Herkunft.
96 Seiten, geb. in Leinen mit Prägung. Hanser Verlag 2014, 14,90 Euro.

 

 

Eine kleine Sensation im an Herausragendem nicht armen Bücher-Herbst 2014: Botho Strauß erzählt in Herkunft von seinen Wurzeln: Entstanden ist ein kleines Büchlein voller Liebe zum toten Vater – und ohne eine Illusion, wie stark die Herkunft den Schriftsteller bis heute prägt.


Botho Strauß sollte vor zwanzig Jahren verfemt werden. Sein Essay Anschwellender Bocksgesang führte noch einmal zu den Reflexen der alten Bundesrepublik, deren lauteste Intellektuelle vor allem als ideologisch korrekte Nazi-Jäger wahrgenommen werden wollten.

 

Nun ist alles anders. In den vergangenen Monaten erschienen gleich zwei Anthologien von Botho Strauß, deren Herausgeber mit profunden Texten ihre Affinität zum Werk des Dichters erläutern. Wer als Journalist vom Dramatiker in sein Refugium in die Uckermark eingeladen wird, um von dessen Leben dort zu berichten, ist geadelt.

 

Einfühlsam, in seiner Wortwahl beinahe vorsichtig herantastend, ist es vor allem der Vater, den Botho Strauß mit dessen Habitus schildert. Ein aus dem Ersten Weltkrieg versehrter geradliniger Mann, der äußersten Wert auf Umgangsformen legte und dessen Tagesablauf von Ritualen bestimmt war. Der Vater, Jahrgang 1890, wirkte in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg in Bad Ems derart aus der Zeit gefallen, dass sich der jugendliche Sohn für ihn schämte.

 

Wie schimpflich aber, daß ich mich so genierte, wenn ich ihm mit meinem Kameraden auf dem Schulweg begegnete, wenn er mir entgegenkam auf dem Rückweg von seinem Morgenspaziergang und ich nicht wagte, ihn unbefangen zu grüßen.


So ist Herkunft auch zu lesen als eine späte Entschuldigung und als Dank für all das, was der Schriftsteller dem Vater zu danken hat.

 

Ohne Wertung schildert er die Summe der Gepflogenheiten, die den Tag der Eltern zusammenhielten. Berührend liest sich die Schilderung der Hände des Vaters:

 

Ich kenne sie nicht als Faust, und ich kenne seine zehn Finger nicht tief ineinander gefaltet oder verwunden. Wohl die Fingerspitzen leicht zusammengesteckt, wenn beide Hände über dem Bauch lagen beim Mittagsschlaf – so wie ich sie zum letzten Mal sah, auf dem Totenbett. Die Hand hat mich gestraft und liebkost; sie hat mir die ersten Blumen gewiesen und die erste Zeile im Buch.


In bemerkenswerter Offenheit schildert Botho Strauß, der in wenigen Wochen selbst 70 Jahre alt wird, wie ihn die Kindheitserfahrungen mit zunehmendem Alter umgreifen: Ich verwundere mich, wie diese frühe Prägung nun, da ich längst selbst ins »Alter des Vaters« eintrat, langsam, aber unerbittlich ihre Wirksamkeit entfaltet. An anderer Stelle formuliert Strauß die Einsicht, wie wenig tatsächlich auf unserem eigenen Mist wächst: Man hat im wesentlichen nach Mustern gelebt und nach Mustern sich verbraucht.


Offen auch bekennt sich Strauß zu seiner Misanthropie, die er – im Gegensatz zu sich selbst – beim Vater begründet sah: Begründet in reicher Erfahrung war seine spätere Misanthropie nach einem bewegten Leben, zu dem das meine keinen Vergleich bietet.


Ein stilles, ein leises Buch. In seiner Ehrlichkeit und Melancholie ein Ereignis.