Ernst Jünger – Atlantische Fahrt

Ernst Jünger geht von Bord der Monte Rosa in Bahia
© Photo: Nachlass Carl Schmitt im Landesarchiv NRW

 

 

Ernst Jünger, Atlantische Fahrt. »Rio Residenz des Weltgeistes«
Herausgegeben von Detlev Schöttker, mit Briefen an seinen Bruder Friedrich Georg Jünger, Briefen von Lesern und Oroginal-Photos. Klett-Cotta 2013, 196 Seiten, 19,95 Euro.

 

»Im Bann des Meeres empfinden wir Verströmung, Auflösung unseres Wesens«, schreibt Ernst Jünger 1936 während seiner Reise nach Südamerika in sein Tagebuch. Alles würde lebendig, »was rhytmisch in uns ist, Anklänge, Takte, Melodien, der Ursprung des Lebens, der sich auf den Zeiten wiegt. Sein Zauber läßt uns nach Tagen, die wir am Strande säumten, ganz leer zurückkehren, doch glücklich wie nach durchtanzter Nacht.«


Atlantische Fahrt heißt das Reisetagebuch Ernst Jüngers. Es berichtet von seiner Schiffsreise im Jahr 1936. Jünger hatte sich nach dem unglücklichen Ende des Ersten Weltkriegs und einem anschließenden Zoologie-Studium entschlossen, freischaffender Schriftsteller zu werden.

 

Von Hamburg fuhr die Monte Rosa über die Azoren nach Belém, Recife, Sào Paulo, Rio de Janeiro und schließlich Bahia. Das Schiff gehörte zu fünf Passagierschiffen, die zwischen 1924 und 1930 von der Hamburger Werft Blohm und Voss gebaut wurden und ursprünglich als Auswanderschiffe geplant waren. Seit Mitte der 1920er Jahre wurden sie als Linien- und Kreuzfahrtschiffe eingesetzt. Entgegen heutiger Annahmen waren sie von nur begrenztem Komfort. Ernst Jünger startete ohne seine Frau am 19. Oktober 1936 in Goslar und kam am 15. Dezember zurück.

 

Veröffentlicht wurden die Reisebeschreibungen erstmalig erst 1947 in London. Die Reihe der »Kriegsgefangenenhilfe des Weltbundes der Christlichen Vereine Junger Männer in England« bot die Gelegenheit, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: Zum einen konnte Jünger so die alliierte Zensur umgehen. Schließlich hatte er in Deutschland in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg Publikationsverbot. Zum anderen publizierte der Dandy sein erstes Buch nach dem Zweiten Weltkrieg gerade im ersten der Hitlerschen Feindstaaten und stellte damit klar, was für ihn Europa bedeutet.

 

Die bibliophile Neuausgabe von Klett-Cotta enthält neben dem ursprünglichen Text des Reisetagebuches Briefe an seinen Bruder und engsten Vertrauten Friedrich Georg. Sie bereichern die Lektüre ungemein. Erfährt der Leser doch unmittelbar, wie der Autor an seinem Stil feilte: An seinen Bruder schreibt er dieselben Sätze, die er veröffentlichte. Die dem Text angefügten Reaktionen von Lesern sind ebenfalls aufschlussreich. Ein Bekannte der Reise fragt den Autoren unverblümt, ob er »die flache, doch liebenswürdige Intelligenz« des Tagebuchs ist.

 

Auch wenn der Atlantische Fahrt im Werk Jüngers bislang keine herausragende Stellung zugebilligt worden ist: Dieses recht kurze Reise-Tagebuch wurde für alle späteren Tagebuch-Veröffentlichungen stilprägend. Den meisten Raum einnehmen Natur-, Tier-, und Pflanzen-Schilderungen. Doch täusche man sich nicht. Die Kritik am Zeitgeist ist kurz und heftig. Dandyesk versteckt schreibt Jünger unter dem Datum des 2. Dezember 1936, die Masse verwirkliche sich in »Demagogen vom reinsten Wasser, die alles zu nivellieren und auszurotten suchen, was ihr nicht entspricht.« Es genüge, so Jünger weiter, »sich sichtbar zu machen als Gläubiger, als Denker, als Künstler oder auch nur als Anderer, um in höchster Gefahr zu sein.«


So kann Jüngers unprätentiöses kleines Reisetagebuch gelesen werden als Widerstandsparabel eines Ästheten, der drei Jahre nach Hitlers Macht-Antritt in die Urwälder der Schöpfung flieht. Von tieferem Grunde lässt sich mehr verstehen.