Das wunderschöne Frontispitz aus dem ästhetischen Buch
© Klett-Cotta 2013
Ulf Poschardt – 911.
Klett-Cotta 2013, 294 Seiten,
bibliophile Ausstattung mit Leseband
und eingeklebtem Frontispiz-Photo.
Gebunden in schwarzes Leinen, 22,95 Euro.
Der knallgelbe Porsche 911 S Targa wurde dem RAF-Terroristen Andreas Baader zum Verhängnis. Er hatte es so gewollt.
Als am 1. Juni 1972 der zwischenzeitlich in Aubergine umlackierte 911er den Fahndern des BKA entgegengerast kam, staunten sie nicht schlecht: Es war der Stil des Rabauken Andreas Baader, in falscher Richtung in die Frankfurter Einbahnstraße zu fahren – mit deutlich zu hohem Tempo. Baader wurde nach seinem Tod fünf Jahre später im Gefängnis von Stammheim heroisiert – und hatte dabei sowenig heroisches: Ein höchst gewalttätiger Aufschneider, der seine Umgebung mit brutalster Macht beherrschte. Bis zu seinem Tod waren die mitgefangenen Terroristen ihm absolut hörig – die Frauen sogar sexuell.
Baader wurde schließlich in einer Frankfurter Tiefgarage nach unzähligen Schüssen verhaftet. Ironie des Schicksals: Baader klaute ausgerechnet den 911 S des Frankfurter Automobil-Photographen Rainer Schlegelmilch, wo er doch selbst so gern wie ein Rennfahrer durch die Innenstadt raste.
Dies ist eine von vielen süffisanten Storys in der Kulturgeschichte des Porsche 911, die Ulf Poschardt in ein schön gestaltetes Buch gepackt hat. Der schlichte und asketische Titel des schwarzen Leinenbandes: »911«. Poschardt, Stellvertretender Chefredakteur der Welt-Gruppe, ist bekennender 911-Fan. Er schildert seine Liebe, sein Verfallensein gegenüber diesem Vehikel, das ja eigentlich nur ein Auto ist. Eigentlich. Gleichzeitig will der Autor seine Liebeserklärung als gewisse Kritik an Vereinheitlichung in Mediokrität verstanden wissen:
»Der Elfer protestiert gegen die Uniformität der Limousinen, SUVs, oder Kombis. Mancher deutsche Hersteller produziert eigentlich nur noch ein Auto, das in verschiedenen Größen ausgeliefert wird. Das gelungene Autodesign ist zur Seltenheit geworden. Scheußliche Karossen mit piepsigen Motorgeräuschen und albernen Farben überrollen Stadt und Land. Oft genug sitzen in unansehnlichen Autos auch unbedarfte Autofahrer, denen man die mangelnde Lust am Verkehr an jeder Kreuzung, mit jeder Lenkbewegung, anmerkt.«
Poschardt nimmt die Empfindlichkeit der 911-Fangemeinde gegenüber kurzfristigen oder unüberlegten Änderungen oder Opportunismen an irgendeinen Zeitgeist in Schutz. Schließlich sei der 911 das Ergebnis einer nunmehr 50 Jahre währenden Ingenieursleistung. Sie habe dieses Fahrzeug stets behutsam und intelligent weiterentwickelt und sei vor falschen Zugeständnissen an Moden meist gefeit gewesen.
Das Inhaltsverzeichnis
© Klett-Cotta 2013
Dennoch sieht auch der reinrassige 911er-Fan so manche Entwicklung kritisch. Das Auto gehört nach seiner Beobachtung zum automobilen Kanon der Freien und Hansestadt Hamburg: »Ähnlich humorfrei wie bei der Wahl Buchsbaum- und Eibenhecken in den Vorgärten wurde der automobile Klassiker zum Lieblingsgefährt hanseatischer Familien rund um die Alster und in Blankenese.« Zu Beginn des 21. Jahrhunderts gehört der 911 in Hamburg dazu wie weiße Jeans bei den Damen, kombiniert mit Reitstiefeln und als Hund ein Rhodesian Ridgeback oder Weimeraner.
Das kann aber einem Ästheten die Freude am 911 nicht vermiesen. So wird Poschardt gar philosophisch: »Elfer-Freunde sind materialistische Wertkonservative. Werte sind für sie nichts Abstraktes, sondern konkrete Poesie. Werte entstehen im Gebrauch.«
Absolute Pflicht-Lektüre für alle Freunde des Porsche 911. Relative Pflichtlektüre für alle Ästheten.
© Matthias Pierre Lubinsky 2013