Alberto Giacometti – Begegnungen

Alberto Giacometti mit Skulpturen. Photographie von Gordon Parks, 1951
© The Gordon Parks Foundation/ Succession Alberto Giacometti, 2013

 

 

Alberto Giacometti – Begegnungen.
Ausstellung im Bucerius Kunst Forum, Hamburg noch bis 20. Mai 2013.
Katalog: Hirmer Verlag, München 2013, 204 Seiten, geb. mit Schutzumschlag, 39,90 Euro.

 

»An der Schönheit ist nur die Wunde ursprünglich, die jeder Mensch in sich hütet«, schrieb der französische Schriftsteller Jean Genet 1957 in seinem berühmten Essay über seinen Freund Alberto Giacometti. Und weiter »… einzigartig, für jeden verschieden, sichtbar oder versteckt – die er wahrt und zu der er sich zurückzieht, wenn er die Welt für eine vorübergehende, aber tiefe Einsamkeit verlassen will.« Dieser Kunst liege fern, was man ‚Miserabilismus‘ nenne; Giacomettis Kunst scheine ihm »diese geheime Wunde jedes Wesens und selbst jedes Dinges aufdecken zu wollen«.

 

Alberto Giacomettis (1901-1966) Portraits stehen in seinem Gesamtwerk in zentraler Position. Bereits seine ersten Portraits in den 1920er und frühen 1930er Jahren zeigen, dass er sich als Schöpfer des Abbildes für den Blick seines Gegenübers interessiert. Ihm gilt dieser Blick als Ausdruck von Lebensenergie. Giacometti suchte, den individuellen Ausdruck des Menschen in möglichst radikale geometrische Abstraktion zu transformieren.  Eine Ausstellung im Bucerius Kunst Forum, Hamburg widmet sich nun zum ersten Mal konsequent der Portraitkunst Giacomettis. Diese offenbare seine Persönlichkeit und seine Weltauffassung wie kein anderes Genre seines Schaffens, argumentieren die Ausstellungsmacher.

 

Giacomettis Portraitbüsten sind wie kaum andere Kunstwerke Embleme der Distanz zwischen Portraitiertem und Künstler. Diese Distanz hielt Giacometti für unüberwindbar. Im Paris der Zwischenkriegszeit bekam er Kontakt zu den Surrealisten: 1928 macht ihn André Masson mit Hans Arp, Joan Miró und Max Ernst bekannt. 1930 zeigt sich André Breton von der Skulptur Schwebende Kugel begeistert, die er in einer Galerie sieht, und nimmt Giacometti in seinen Kreis auf. Vier Jahre später verabschiedet sich der Geehrte aus dem dogmatischen und auf Bretons Diktatur ausgerichteten Zirkel mit einem Federstreich: Während eines Treffens setzt er sich der Vereinnahmung zu wehr und ruft aus, alles Bisherige, was er geschaffen hat, wäre nur Masturbation gewesen. 1939 lernt er Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir kennen; der Existentialismus prägt fortan sein weiteres Schaffen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wird Giacometti allmählich bekannt und erfolgreich – zuerst in Paris, dann im übrigen Europa und in den Vereinigten Staaten. 1966 stirbt er in Chur im schweizerischen Kanton Graubünden.

 

Alberto Giacometti, Annette stehend, um 1954, Privatsammlung, Schweiz
© Succession Alberto Giacometti

 

 

Giacomettis Œuvre beschränkt sich eben nicht auf die Skulpturen, deren Bedeutung in der Kunstgeschichte fast ein halbes Jahrhundert nach seinem Tod immer gewichtiger wird. Neben den gemalten und gezeichneten Portraits und anderen Objekten war er – was nicht hinlänglich bewusst ist – auch ein Autor von Rang. Giacometti schrieb Gedichte, Essays, Kunstkritik und eine Vielzahl von Briefen. Michael Peppiatt stellt ihn als Autor in seinem Beitrag im ästhetisch gestalteten Katalog auf die Stufe von Delacroix oder van Gogh.

 

In Giacomettis Atelier war der Boden stets übersäht mit Gipsstücken, verworfenen Skulpturteilen  und Zetteln. Der Künstler hatte die Eigenschaft, alles Mögliche, was ihm einfiel, zu notieren. Einiges floss in später publizierte Texte ein. Vieles wurde verworfen. Überhaupt ist Giacometti ohne die Photos aus seinem Atelier nicht wirklich zu verstehen. Wer sich für sein Werk interessiert und wer die Ausstellung besucht, sollte sich Zeit nehmen zur Betrachtung gerade dieser ungeheuren Atelier-Photos. Sie zeigen das Innere, die Brutstätte, das Refugium eines permanent mit seiner Darstellung des Wahrgenommenen Beschäftigten. Sein kleines Atelier in der Nähe von Montmartre mietete er 1927 an – und nutzte es bis zu seinem Tod. Es war für ihn Schöpfungs-Höhle und Um-Gebung zugleich.

 

Der Katalog aus dem Münchner Hirmer Verlag dokumentiert alle ausgestellten Objekte in großzügigem Format. Angereichert ist der gelungene Band durch Beiträge, die im Juni 2012 auf dem international besetzten Bucerius Kunst Forum gehalten worden sind.

 

Alberto Giacometti, Annette, sitzend, 1954,
© Succession Alberto Giacometti