Angela Oster/Karin Peters (Hrsg.): Jenseits der Zeichen. Roland Barthes und die Widerspenstigkeit des Realen. Wilhelm Fink Verlag, München 2012, 324 Seiten, Paperback, Euro 44,90.
Der Geist, den der französische Semiologe Roland Barthes (1915-1980) erzeugt hat, wird nun auch in Deutschland aus der Flasche gelassen: Ist der Lehrer am Collège de France in seinem Heimatland seit mindestens 20 Jahren eine bedeutende Größe in der Literaturwissenschaft und angrenzenden Disziplinen, so war es in Deutschland bislang recht still um den vielseitig Interessierten. Dass sich daran in Zukunft etwas ändern wird, wollte eine Tagung bewirken, die im November 2010 an der Ludwig-Maximilians-Universität München stattfand.
»Jenseits der Zeichen. Roland Barthes und die Widerspenstigkeit des Realen« war der Fortschreibung der Barthes-Forschung – vor allem in Frankreich – geschuldet: Anstelle der bisherigen Ausrichtung auf Strukturalismus und Semiotik treten nun wieder verstärkt Barthes‘ selbst-referenzielle, eher autobiographisch ausgerichteten Texte in den Fokus. Das heißt, von immer weiter weg führenden Interpretations-Schleifen, nähert sich die Wissenschaft ihrem Untersuchungs-Objekt wieder stärker an. Und dies wiederum ist Fortschreibungen und Infragestellungen von Begrifflichkeiten zu verdanken. Was ist überhaupt ‚Strukturalismus‘? Der Begriff könnte abgenutzt, ausgelutscht sein, zumal kaum einer der Hineingepressten sich dort sehen möchte. Ähnlich verhält es sich mit Begriffen wie Funktion, Form, Zeichen und Bedeutung. Sie alle gehören im 21. Jahrhundert auf den Prüfstand.
Die Beiträge der bedeutenden Tagung, die anlässlich des 30. Todesjahres von Roland Barthes abgehalten wurde, versammelte Barthes-Kenner aus dem Wissenschaftsbetrieb hauptsächlich aus Deutschland und Frankreich. Ottmar Ette aus Potsdam versucht in seinem Beitrag, Wissenschaft und Leben bei Barthes zusammen zu führen. Er kommt zu dem Ergebnis, das Wissen Barthes‘ sei nicht nur »ErLebensWissen«. Insbesondere aufgrund des engen Zusammenlebens mit seiner Mutter bis zu deren Tod sei es ein »ZusammenLebensWissen«. Dies verstanden als soziale Konstellation und plurale Echokammer.
Aufschlussreich für deutsche Leser ist Claude Costes (Grenoble) Einführung in die Debatte um Barthes in Frankreich zwischen 1980 und 2011: Die so genannten »Rolandistes« wenden sich verstärkt der intellektuellen Biographie von Barthes zu, wohingegen der Großteil der Theorie das Werk von Barthes grundsätzlich als Steinbruch nutzt: Ein bedeutender Stichwortgeber seit spätestens 2002, als das fünfbändige Gesamtwerk erschien.
Andreas Mahler (Berlin) untersucht in »Vom Kode zum Zeichen zur Zeichnung. Barthes‘ Ordnungen des Wissens (am Beispiel der Liebe)« am Beispiel von Barthes‘ Semiotik der Liebe, wie sich im Laufe von dessen intellektuellem Leben sein Verhältnis zu Wissen, Wissenkönnen und Lieben verändert. Mahler kommt zu dem Ergebnis, Barthes habe sich vom Wissen-Beurteilen und Einordnen-Wollen immer stärker zum reinen Sammler des Wissens entwickelt; »ein Weg weg vom Analytiker der Ordnungen, vom Beobachter des Außen, hin zum Teilhabenden, zum Teilnehmenden, zum die Widerständigkeit der Welt erkennenden – und akzeptierenden – ‚Mitspieler‘ selbst«.
Der Tagungsband versammelt auf über 300 Seiten 18 hochkarätige Aufsätze, die den aktuellen Forschungsstand abbilden. Er basiert auf der These, dass das, was Barthes schrieb, bereits Fiktion war, dies vor allem bezogen auf den Akt ihrer Hervorbringung, wie es Tzvetan Todorov 1981 beschrieb. Aufgrund seines Anspruches ist der Band eher für Studierende und Wissenschaftler geeignet. Für Barthes-Verehrer ein Muss!