Ernst Jünger – Kriegstagebuch

Ernst Jünger als Soldat im Ersten Weltkrieg



Der DANDY-CLUB rezensiert Ernst Jünger Kriegstagebuch 1914-1918. Herausgegeben von Helmuth Kiesel. Klett-Cotta Verlag 2010. 654 Seiten, gebunden im Schuber, 32,95 Euro.

Ernst Jünger hatte schon bald vom Krieg die Schnauze voll. Das sinnlose Massenmorden von Gleichaltrigen, 20jährigen Männern, die man nur deshalb zu töten hatte, weil sie einer anderen Nation angehörten, zermürbte den jungen Freiwilligen zeitig.

»Lange schon bin ich im Krieg, schon manchen sah ich fallen, der wert war zu leben«
, schrieb er am 1. Dezember 1915 in seine Notizkladde, die er stets bei sich trug. Und weiter: »Was soll das Morden und immer wieder Morden? Ich fürchte, es wird zu viel vernichtet und es bleiben zu wenige, um wieder aufzubauen. Vorm Kriege dachte ich wie mancher: nieder, zerschlagt das alte Gebäude, das neue wird auf jeden Fall besser. Aber nun – es scheint mir, daß Kultur und alles Große langsam vom Krieg erstickt wird. Der Krieg hat mir doch die Sehnsucht nach den Segnungen des Friedens geweckt.«

Diese ehrliche Selbstspiegelung und Stellungnahme findet sich in dem nun veröffentlichten Kriegstagebuch 1914-1918, das der Literaturwissenschaftler Helmuth Kiesel herausgegeben hat. Das sind die Original-Kladden, insgesamt 15 Notizbüchlein im Brusttaschen-Format, von denen der Frontkämpfer jeweils eines bei sich führte. Stets und immer, egal, ob er sich im Gefecht befand oder ins Lazarett eingeliefert wurde. War eines vollgeschrieben, so ließ er es nach einem Heimaturlaub zu Hause verwahrt. Es ist quasi der Ur-Text des späteren Welterfolges In Stahlgewittern.

Doch die sind stilisiert, geschliffen zu heroischer Prosa, in der Gefühlswallungen wie die obige gestrichen sind. Die literarisch bedeutende Herausgabe des Originaltextes erlaubt nun jedermann, sich ein Bild zu machen: Was fühlte Jünger kurz nach dem Geschehnis? Und was hat er (in den verschiedenen Fassungen) der Stahlgewitter daraus geformt?

In seinen emotional authentischen Original-Aufzeichnungen verzweifelte Leutnant Jünger daran, dem schon damals von ihm geliebten Frankreich wohl nie wieder frei begegnen zu können:

»Und ich werde die Reise nach Paris und Versailles nicht machen können, mich nicht freuen können im Lande des Weins und der Freude, denn zwischen mir und Euch steht eine Wand, fließt ein Strom von Blut, von Blut vielleicht unnütz vergossen, um Millionen Mütter in Gram und Elend zu stürzen.«
Für solche Gefühle war in den Stahlgewittern kein Platz mehr. Schließlich hatte es den Versailler Vertrag gegeben, und Nationalisten, wie Jünger nach dem Ersten Weltkrieg einer wurde, sahen darin eine ungerechte Schmach für Deutschland.

Die Original-Aufzeichnungen mit dem später Veröffentlichten vergleichen zu können, wird nicht jeden interessieren. Werk und Person Ernst Jüngers stehen aber in stetig wachsendem Interesse. Das erste Buch Jüngers, In Stahlgewittern, wird jetzt in der 46. Auflage von 2008 ausgeliefert. Es ist in unzählige Sprachen übersetzt worden. Der französische Schriftsteller André Gide, nicht im Verdacht blind vor Nationalismus zu sein, schrieb am 1. Dezember 1942 in sein Tagebuch: »Das Buch von Ernst Jünger über den Krieg von 14 ist unbestreitbar das schönste Kriegsbuch, das ich gelesen habe.« Bemerkenswert ist, dass Gide keine bereinigte Fassung gelesen hatte, sondern eine Übersetzung von 1930. In der waren alle nationalistischen Passagen noch enthalten.

Der Band enthält neben etwa 450 Seiten der originalen Kriegstagebücher mit über 100 Seiten Anmerkungen einen langen Beitrag von Helmuth Kiesel über Ernst Jünger im Ersten Weltkrieg – Überblick und Dokumentation. Der Jünger-Biograph gibt eine gründliche Einbettung der historischen Situation, der gesellschaftlichen Verhältnisse und von Jüngers Motivation. Wer jedoch gerade über Letzteres mehr erfahren möchte, wer in der Substanz ein Gefühl für das Empfinden und Denken Jüngers bekommen möchte, dem sei zur ergänzenden Lektüre die Biographie von Heimo Schwilk empfohlen.

Besonders süffisant sind die Hinweise zur Stilisierung des Rohtextes vom Tagebuchschreiber Jünger an den zukünftigen Buch-Autoren Jünger:

»Edition des Tagebuches I.
Die Sprache ist noch vielfach zu trocken, muss durch Dialoge aufgefrischt werden.
An Schilderung wichtiger Abschnitte etc. immer ausgeruht herangehen, die 2-3 ersten Morgenstunden ausnutzen.
Das Tagebuch in seiner ersten Form ist nur ein Rahmen, in den Schilderungen der Landschaft, der jeweiligen Stimmung der Truppe, der Verpflegung, der Unterbringung, der taktischen Vorübungen u. s. w. eingeschoben werden müssen.«

Jünger war bemüht, das Erlebte so zeitnah wie möglich zu notieren. Manchmal schrieb er es in feuerfreien Minuten auf; manchmal ging es erst am Abend. Der spätere Schriftsteller resümierte – die eigene Grenze des Behaltbaren reflektierend – am Schluss der Aufzeichnungen:

»Es ist merkwürdig, wie rasch sich die Eindrücke verwischen, wie leicht sie schon nach einigen Tagen eine andere Färbung annehmen. Angst, Schwäche und Kleinmut hat man schon am ersten Ruheabend vergessen, wenn man den Kameraden beim Becher seine Erlebnisse berichtet. Unmerklich stempelt man sich zum Helden.«