Thomas Bernhard (1931-1989)
© Andrej Reiser/ Suhrkamp
»Sind Sie gern böse?« fragt Peter Hamm den cholerischen Schriftsteller Thomas Bernhard. Und der antwortet in ungekannter Offenheit. Er glaube ja – bis zu einem gewissen Grad. Bernhard erläutert gläsern seinen Gemütszustand: »Ich kann sicher sehr bös sein, ja, grausam bös. Ich kann’s nur nicht ausleben, austoben, nicht? Das erzeugt dann eine gewisse Verkrampfung und zeitweise über lange Perioden ein bestimmtes Unrecht, nicht?« Aber der Verstand sei es, der ihn daran hindere, wild um sich zu schlagen.
Diese und andere Outings erfährt der geneigte Bernhard-Leser nun in einem Interview, das der Suhrkamp Verlag zum erstenmal herausbringt. Bernhards Öffnung hat natürlich eine Vorgeschichte. Die erzählt der Schriftsteller und Literaturkritiker Peter Hamm in dem schmalen, bibliophilen Band. Im Winter 1976/ 77 plante der Suhrkamp Verlag ein Buch mit Aufsätzen über seinen inzwischen zum Star avancierten österreichischen Autoren. Da Hamm sich mehrmals emphatisch-positiv über Bernhards Werk geäußert hatte, hatte ihn Bernhard als Herausgeber des Sekundärbandes empfohlen.
Peter Hamm erzählt: »Um den Band nicht zu einem Gelehrtengrab mit Sekundärliteratur werden zu lassen, schlug ich Thomas Bernhard als Einleitung ein Gespräch mit ihm vor, dem er zu meiner leisen Verwunderung zustimmte. Am vereinbarten Tag unseres Gesprächs, in meiner Erinnerung war es ein eisiger Wintertag, fuhr uns Bernhard – ich hatte weibliche Verstärkung dabei – erst einmal, rasant wie wohl kein zweiter Automobilist unter den Literaten, zum Essen in ein abweisendes Gasthaus am hintersten Ende des Traunsees, das aus einer seiner frühen finsteren Erzählungen zu stammen schien.« Da das Essen für sie – die einzigen Gäste – schlecht und spärlich war, hielten sie sich hauptsächlich an den Wein. So war das Dreiergespann in heiterer Stimmung. Als sie wieder bei Bernhard zu Hause angekommen waren, ging das angeregte Gespräch zunächst weiter. Als Hamms Begleiterin dezent auf das Diktiergerät hinwies und damit sagen wollte, es könne ja nun mit dem eigentlichen Interview begonnen werden, war es bereits Mitternacht. So waren es wohl die Faktoren einer grundsätzlichen eingeschmeichelten Empathie für den Interviewer gepaart mit einer gewissen Menge Wein, die zu Bernhards Redseligkeit geführt haben.
Das macht dieses lange Gespräch so interessant. Anders als in vielen Gesprächen scheint der Autor von Frost hier beinahe erlöst zu sein, sich aussprechen zu können und nicht einem dandyesken vivre masqué fröhnen zu müssen.
So erfährt der Leser, dass Bernhard einmal für ganze drei Tage der sozialistischen Partei angehört hat. Bernhard berichtet von seinen ersten Leseerfahrungen und -prägungen. Beeindruckt sei er gewesen von dem Roman Schau heimwärts Engel des US-amerikanischen Dandys Tom Wolfe.
Die Welt sei selbst schuld, dass man sie nur in kurzen Bildern wahrnehmen könne, sagt Bernhard an einer Stelle. Dieses beeindruckende Gespräch lässt uns Thomas Bernhard zwei Jahrzehnte nach seinem Tod deutlicher sehen.
Thimas Bernhard/ Peter Hamm, Sind Sie gern böse?
Ein Nachtgespräch zwischen Thomas Bernhard und Peter Hamm im Hause Bernhard in Ohlsdorf 1977.
Suhrkamp Verlag Berlin 2011, 62 Seiten, Broschur, 14,90 Euro.