Ernst Jünger während seiner ersten Rhodos-Reise 1938.
Sein Bruder, Friedrich Georg dahinter in der Mitte.
Im 1948 veröffentlichten Reisetagebuch Ein Inselfrühling erwähnt Jünger
die Bekanntschaft mit einem Zahnarzt Krebs und dessen Frau.
© DLA Marbach
Zur Zeit läuft in Darmstadt eine Ausstellung, der etwas ungeheuer Großartiges gelingt: Sie heißt Gesamtkunstwerk Expressionismus, und sie vermag tatsächlich diese Kunstströmung zu Beginn des 20. Jahrhunderts in ihrer Gesamtheit, sprich: Gänze zu erfassen. Denn es ist wenig sinnvoll, nur einzelne Bereiche wie das Theater, Film oder Tanz für sich zu betrachten, waren sie doch durchlässig und zogen Künstler aus anderen Sparten in ihren Bann.
Was in Darmstadt gelingt, ist bei einem der bedeutendsten Beobachter des vorigen Jahrhunderts noch Wunschdenken. Über Ernst Jünger erscheint seit seinem Tod 1998 eine Flut von Literatur. Vieles davon ist intelligent und niveauvoll. Gerade in den vergangenen Jahren wurde bislang Ungedachtes, Unerforschtes geschrieben. Doch haben die Veröffentlichungen eines gemeinsam: Sie sind nicht in der Lage, das Œvre Ernst Jüngers als Einheit darzustellen. Es als Ganzes zu sehen.
Darum bemüht sich nun ein kleines Bändchen des Deutschen Literaturarchivs Marbach. Scheinbar veröffentlicht es (nur) die ursprünglichen Notate Jüngers von seinen drei Rhodos-Reisen, die er während seiner Expeditionen anfertigte. Doch in Wahrheit versuchen die Herausgeber Lutz Hagestedt und Luise Michaelsen viel mehr: Sie versuchen ein Plädoyer für die Thesen
1. Ernst Jüngers Werk ist eine Einheit, hat einen tiefen inneren Zusammenhang. Und:
2. Jüngers Reisetagebücher sind bei der bisherigen Perzeption zu kurz gekommen.
Beide Thesen sind richtig.
In ihrem ausführlichen Nachwort widersprechen die Herausgeber der Ansicht von Martin Meyer, Jüngers Reisetagebücher verbänden sich mit dem work of progress der späten Autorschaft. Meyer ist Feuilletonchef der Neuen Züricher Zeitung und hat 1990 nach achtjähriger Arbeit eine umfangreiche und verdienstvolle Werkbiographie zu Ernst Jünger vorgelegt. Hagestedt betont dagegen seine Sicht der Reisetagebücher als einer Gattung sui generis: »Sie stellen ein bemerkenswertes Korpus innerhalb des Werkganzen dar und erschöpfen sich nicht darin, Werkentwicklungen zu begleiten.« Vielleicht wird Martin Meyer hier ein wenig pedantisch interpretiert. Der Ansatz von Hagestedt und Luise Machaelsen jedoch ist nur konsequent.
Der Umschlag des zweiten Rhodos-Tagebuchs von 1938
© DLA Marbach
Bereits in dem von Hagestedt 2004 herausgegebenen großen Sammelband über Ernst Jünger, Politik, Mythos, Kunst finden sich Hinweise auf Nietzsches Lehre von der Ewigen Wiederkunft (des Gleichen). Steffen Martus zitiert in dem Band in einer Fußnote Pannwitz zur Nietzeanischen Ewigen Widerkehr:
»Einem großen Menschen geht es ohnedies schon im engsten Leben nicht darum, als Ich zu leben, sondern das, wofür er lebt, zu einer unvergänglichen Macht zu steigern und [zu] festigen. Dies nannte man in der Antike, über alle Eitelkeit hinaus, Ruhm.«
Daher ist es kein Zufall, dass Jünger an für ihn magische Orte in seinem Leben zurückkehrte. So, – wie es ihm gelang, über die Spanne fast seines gesamten Lebens zweimal den Halley’schen Kometen zu sehen: Nach der ersten Begegnung als Junge in Rehburg 1910, mit Eltern und Geschwistern, reiste er 76 Jahre später, 1986, als 91-jähriger eigens nach Kuala Lumpur für ein zweites Rendezvous mit dem Planeten.
Ernst Jünger hat sich sein langes Leben lang intensiv eingelassen. Und das bedeutete auch, die Begegnung zu wiederholen, um vom späteren, reiferen Blickwinkel jeweils anderes zu verstehen. Dazu zählen Jüngers Lektüren. Ihm wichtige Bücher las er mehrmals, – häufig in besonderen Lebensphasen. Das war das Alte Testament, und es war Huysmans Gegen den Strich, um nur zwei Beispiele zu nennen. Dazu zählten die wiederholten Begegnungen mit besonderen Menschen, -teilweise in großen Abständen. Und dazu gehören wiederkehrende Reiseziele.
Jünger kam dreimal nach Rhodos. Er nahm jedesmal andere Menschen aus seiner engsten Umgebung mit. Die erste Reise machte er 1938 mit seinem Bruder Friedrich Georg, die zweite 1964 mit seiner zweiten Frau Liselotte, die dritte 1981 mit dem Verleger Ernst Klett. So wird jeder Aufenthalt zu einem Déjà-vu und einer neuer Erfahrung zugleich. Jünger kennt die Insel, – und ist entsetzt über ihre Veränderungen zum Nachteil. Der Massentourismus verlangt seinen Tribut. Betonhotels säumen bislang unverstellte Aussichten. Jünger sieht sich als idiosynkratrischer Einzelgänger in seiner Moderneskepsis bestätigt. Bei den neuerlichen Besuchen kann er seiner Frau, resp. seinem Verleger, die Insel zeigen. Er weiht Vertraute in einen mythischen Ort mit ein.
Die hier erstmalig in ihrer ursprünglichen Form vollständig veröffentlichten Aufzeichnungen Jüngers von seinen Rhodos-Aufenthalten stehen pars pro toto für sein gesamtes Reise-Tagebuch-Werk. Sie sind hilfreich, einer ganzheitlichen Wahrnehmung von Jüngers Werk den Weg zu ebnen.
Ernst Jüngers erstes Rhodos-Tagebuch
© DLA Marbach
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