Die melancholischen Lebens-Notate von Szczepan Twardoch
© Cover Rowohlt Berlin 2019
Szczepan Twardoch: Wale und Nachtfalter
Tagebuch vom Leben und Reisen
256 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag,
Rowohlt Berlin, 24 €.
Szczepan Twardoch stieg innerhalb weniger Jahre zum Star der polnischen Literatur auf. Sein nun veröffentlichtes Wale und Nachtfalter – Tagebuch vom Leben und Reisen weist ihn endgültig als waschechten Dandy aus.
Der Boxer machte Szczepan Twardoch in Deutschland endgültig berühmt. Der Roman ist spannend wie ein Thriller. Dabei transportiert der Plot eine historische Wahrheit, die in Polen noch immer ein Tabu ist: Es waren nicht nur Deutsche, die polnische Juden verfolgt und verraten haben, sondern – wie in anderen Ländern Europas auch – an erster Front Landsleute, die in vorauseilendem Gehorsam nun endlich ihrem Antisemitismus ungehindert frönen konnten.
Der 1979 geborene Dandy macht in seinem jetzt veröffentlichten literarischen Arbeitstagebuch deutlich, wer seine geistigen Heroen sind. Er fährt einen Umweg von 300 Kilometern, um dem ehemaligen Wohnsitz von Ernst Jünger einen Besuch abzustatten. Dass die jetzt zum Museum umgestaltete Oberförsterei just geschlossen ist, kann ihm nichts anhaben. Jünger hätte gesagt: Im Innern ist’s getan. Mehrfach zitiert Twardoch Jüngers Parabel der désinvoltute, das 1977 erschienene Eumeswil. »Jünger sagt mit Davila, dass für einen Konservativen, der jegliche Hoffnung hat fahren lassen, Jahrtausende eine Kleinigkeit seien: Der Konservative ‚setzt auf die kosmischen Kreisläufe. Eines Tages wird der Paraklet erscheinen, der verzauberte Kaiser aus dem Berg hervortreten.‘«
Geschult an Ernst Jünger und Davila. Twardochs literarische Aufzeichnungen sind tagebuchartige Notate. Teils Reisenotizen, Traumschilderungen oder einfach Beobachtungen des täglichen Mittelmaßes. An seinen polnischen Landsleuten läßt er kein gutes Haar; die Deutschen kennt er vielleicht noch nicht gut genug. Sie würden wohl kaum besser abschneiden, fehlt ihnen sogar noch die Bindung durch die Kirche:
»Womit soll man heute die positivistisch-konservativ-sozialistisch-liberalen, dümmlich zufriedenen Mikrobourgeois aus den Einkaufszentren epatieren, die sowohl zur Kirche gehen als auch, falls notwendig, ihren Embryo auskratzen, um sich nachher über diese Ausschabung zu grämen und sogar zur Psychotherapie gehen?« Widerstand ist sinnlos: »Man kann Märsche und Gegenmärsche veranstalten, mit Fackeln und Arafat-Tüchern, sie werden sich erschrecken, nur habe ich keine Lust dazu. «
Szczepan Twardochs Notate erinnern an Botho Strauß‘ Buch Paare Passanten, in welchem der Dramatiker 1981 der gelangweilten, westdeutschen post-68er SPD-Lehramtsgeneration den literarisch-genialischen Abgesang dargebracht hat.
Der bekennende Schlesier ist zu schlau, um sich mit irgendwelchen Ismen eins zu machen. Seine Notate zeugen von einem zutiefst melancholischen Beobachter, der weder die Geschichte noch das Heute durch die Brille der political correctness betrachtet. Ein Einsamer, von dem noch so manches zu erwarten ist.