Ein Auto wurde von einem Panzer überrollt
© Sammlung Milan Barta
Photo aus Panzer in Prag
Martina Winkler: Panzer in Prag
Der fotografische Blick auf die Invasion von 1968
232 Seiten mit zahlreichen Abbildungen
C. W. Leske Verlag 2018, 35 € (D)
Die Kieler Professorin Martina Winkler untersucht in ihrem Buch Panzer in Prag – Der fotografische Blick auf die Invasion von 1968 zum ersten Mal wissenschaftlich Hintergründe und Wirkungen von Photos der gewaltsamen Beendigung des Prager Frühlings vor 50 Jahren.
Es ist kurz nach 2 Uhr morgens, am 21. August 1968, als Radio Prag sein laufendes Programm unterbricht. Mit erregter Stimme verliest die Sprecherin die Eilmeldung: Kurz vor Mitternacht hätten Truppen des Warschauer Paktes die Staatsgrenze der Tschechoslowakei überschritten. Zeitzeugen berichten später, früh am Morgen dieses 21. August, der die Tschechoslowakei für immer verändern sollte, vom Motorengeräusch der russischen Militärflugzeuge und dem Dröhnen der Panzer geweckt worden zu sein.
Panzer prägten das Straßenbild ab dem 21. August 1968 in Prag
© Miroslav Martinovský
Photo aus Panzer in Prag
Der Generalsekretär der tschechoslowakischen KP, Alexander Dubček, hatte zuvor Reformen eingeleitet, die der Sowjetunion zu weit gingen. Die Demokratisierung sollte gestoppt, der Bruderstaat zurück an die kurze Leine geholt werden.
Wie bei allen historischen Ereignissen, so sind es auch hier die Photographien, die uns – wortwörtlich – ein Bild vom Ereignis verschaffen. Es sind ja immer bestimmte einzelne Bilder, die wir mit den Geschehnissen konnotieren. Sie werden von den Zeitungen immer wieder im Zusammenhang mit Berichten über die gewaltsame Beendigung des Prager Frühling gebracht, finden sich in den Schulbüchern und so weiter.
Martina Winkler, Professorin für Osteuropäische Geschichte an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, untersucht nun zum ersten Mal Photos der Besetzung Prags vor 50 Jahren durch die Sowjetunion und einige ihrer damaligen Verbündeten. Schwerpunkt der in dem Buch dokumentierten Photos ist der zivile Widerstand. Berühmt geworden sind die einfallsreichen und durchaus nicht ironiefreien Aktionen der Prager. Jeder kennt das Bild des jungen Tschechen, der sein Hemd aufreißt und sich mit nackter Brust direkt vor die Kanone eines russischen Panzers stellt. Doch gab es auch sehr viel subtilere Taten, die nicht weniger mutig waren. So beschriftete ein Vater seinen Kinderwagen in großen Lettern mit: »Dubček, lass‘ dich nicht unterkriegen!«
Martina Winkler untersucht die Photos der Invasion unter verschiedenen Blickwinkeln und wird damit einem wissenschaftlichen Anspruch gerecht. Die Autorin erläutert die politische und gesellschaftliche Entwicklung in der Tschechoslowakei seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges, das Jahr 1968, den Alltag bis zur Invasion. Sie geht auch auf Grundsätzlicheres ein wie die Wirkung von Photographien, deren Manipulierbarkeit und Aussagekraft. Weitere Kapitel thematisieren Prag als Mythos, die Beziehung zur Sowjetunion und die Medien.
Gut vorstellen könnte man sich dieses Buch als Schulstoff: Denn es fächert neben dem historischen Ereignis als solchem auch auf, wir dieses medial dargestellt und international perzipiert worden ist. Die eine Geschichte gibt es eben nicht.