Walter Spies mit Gela Forster Archipenko, Bali 1930
© Walter Spies Gesellschaft Deutschland, Köln
Michael Schindhelm, Walter Spies.
Ein exotisches Leben.
240 Seiten mit Abbildungen.
Gebunden mit Schutzumschlag und Leseband.
Hirmer Verlag 2018, € 19,90.
Walter Spies war nicht nur Maler und Musiker. Er war auch Tänzer, Komponist, Unterhalter, großzügiger Gastgeber – und Lebenskünstler. Auf Indonesien, wohin er 1923 auswanderte, wird er noch heute bewundert. Michael Schindhelm schrieb nun – endlich! – die erste deutsche Biographie.
Ein außergewöhnliches Leben
Walter Spies wurde 1895 in Moskau als Sohn einer seit mehreren Generationen ansässigen angesehenen Kaufmannsfamilie geboren. Sein Vater war Vizekonsul und Wirtschaftsberater des Deutschen Reiches. Dabei war die Familie sehr musisch. Einmal in der Woche spielten die Eltern vierhändig am Flügel Kammermusik. Seine Schwester wurde später Tänzerin, der Bruder Komponist. Schon als kleines Kind fertigte Walter Zeichnungen an. Als junger Mann pilgerte er regelmäßig in die berühmte Sammlung Schtschukin und bewunderte die naiven Urwald-Darstellungen von Rousseau, die seinen späteren Stil prägen sollten.
Durch den Ersten Weltkrieg wurde die Familie Spies – als Deutsche – in ihrer Heimat zu Feinden. Sie konnte der Internierung durch die Flucht nach Hellerau entkommen. Hellerau war damals eine bei Dresden gelegene Künstlersiedlung. Hier lernte Walter Spies die Maler Oska Kokoschka und Otto Dix kennen. Spies berichtete später, er verbrachte »viele unvergessliche und lehrsame Stunden mit Oskar Kokoschka, den ich als Mensch ganz ungewöhnlich schätze, der aber zu meinem größten Kummer und Ärgernis meine Malerei niemals recht ernst nehmen wollte! Aber von Otto Dix, dem Merkwürdigen, wurde ich dagegen sehr angespornt.«
1920 zieht Spies nach Berlin, wo er sich zunächst mit Übersetzungen von russischen Kunstzeitschriften über Wasser hielt. Dann gab er Tanzunterricht und veranstaltete Tanz-Wettbewerbe, mit denen er gutes Geld verdiente. Der Schauspieler Conrad Veidt führte ihn in die schwule Szene von Berlin ein. Anfang der 1920er Jahre hatte Spies eine Beziehung mit dem Stummfilm-Regisseur Friedrich Wilhelm Murnau und arbeitete sogar an dessen Klassiker Nosferatu mit.
Aber das alles genügte Walter Spies nicht. Ein Freund organisierte 1923 die Anstellung als Leichtmatrosen auf einem Schiff von Hamburg nach Java. Seine mangelnde Qualifikation überspielte Spies mit der Ausrede, er verstehe nur Russisch. Vier Jahre später zog Walter Spies weiter auf die Insel Bali, die damals noch ursprünglicher war. Nach Deutschland sollte er nie wieder zurückkehren. Nach verschiedenen Internierungen seit Beginn des Zweiten Weltkrieges stirbt Walter Spies im Januar 1942 zusammen mit mehr als 400 anderen Gefangenen an Bord des Dampfers Van Imhoff, der von japanischen Bombern westlich von Sumatra versenkt wird.
Blick auf Spies‘ Anwesen Campuhan, Ubud, dreißiger Jahre
© Walter Spies Gesellschaft Deutschland, Köln
Ein vielbegabter Künstler
In seiner Malerei hat Walter Spies einen ganz eigenen Stil entwickelt. Beeinflußt von Rosseau schuf er perspektivische Bilder, die das Alltagsleben Balis mit ihrer Spiritualität darstellen. Spies lernte sehr schnell fremde Sprachen. So war es für ihn nicht schwierig, neben Deutsch und Russisch, Englisch und ein wenig Holländisch sich schnell auf der Insel in Malaisch verständigen zu können. Werner Spies spielte verschiedene Musik-Instrumente, komponierte selbst und lehrte die Einheimischen, ihre traditionelle Musik wieder zu beherrschen. Er lehrte auf Bali wie in Berlin Tanz und photographierte.
Ein großzügiger Gastgeber
Walter Spies‘ Refugium im einheimischen Stil zog eine ganze Schar von begüterten Besuchern an. Beflügelt von der in den 1920er Jahren modischen Südsee-Romantik kamen die Anthropologin Margaret Mead und der Musikethnologe Colin McPhee. Charlie Chaplin, zu dieser Zeit bereits in Amerika ein Star, wurde im Garten Schildkrötensuppe kredenzt, die Woolworth-Erbin Barbara Hutton gab bei Walter Spies gleich ein eigenes Haus in Auftrag, so begeistert war sie von allem. Jedoch: Hans Magnus Enzensberger hat einmal über den Touristen gesagt, der zerstöre das, was er sucht, indem er es findet. So ähnlich war auch die Wirkung von Walter Spies‘ großzügiger Gastfreundschaft: Bali wurde immer bekannter, und es kamen immer mehr. Spies, der eigentlich bemüht war, die ursprüngliche Kultur vor Kolonialismus und Tourismus zu bewahren, muss selbst noch gespürt haben, dass er ‚seiner‘ Insel zugleich auch einen Bärendienst erweist.
Walter Spies, Heimkehrende Javaner, 1924, Privatbesitz
© Afterhours Books, Jakarta
Die längst überfällige – grandiose – Biographie
Die einfühlsam und klug geschriebene Biographie von Michael Schindhelm ist die erste über Walter Spies in deutscher Sprache. Man mag es gar nicht glauben. Schindhelm bringt uns diesen Lebenskünstler näher, dem Geld und materieller Wohlstand niemals so wichtig waren wie ein frei bestimmtes Leben. Sicher war Spies‘ Homosexualität ein Motiv, sich auf Bali niederzulassen. Das allein würde jedoch zu kurz greifen, um einen Menschen zu verstehen, der sich lieber mit Tieren umgab als mit der westlichen Haut Volée. In artifiziellen Bildern schildert der 1960 geborene Biograph Zeit und Ereignisse, damit der Leser verstehen kann, in welchem historischen Rahmen sich dies abenteuerliche Leben abgespielt hat. Er begeht dabei nicht den Fehler, den beschriebenen Personen etwas zu unterstellen, was aus heutiger Sicht naheliegend erscheint – den Tatsachen aber nicht entsprechen muss, wie es Biographen so gerne tun. Zum Gewinn der Lektüre trägt außerdem bei, dass Schindhelm vor einige Kapitel einige Absätze fügt, deren Inhalt sich erst bei der folgenden Lektüre erschließt, – die im Kopf des Lesers beim weiteren Lesen ihre geistige Substanz entfalten. Mehr sei hier nicht verraten.
Michael Schindhelms Buch Walter Spies – ein exotisches Leben setzt einem außergewöhnlichen Menschen ein literarisches Denkmal. Was für ein Leben! Was für ein Mensch! Nach der Lektüre wird sich mancher Leser fragen, ob er die richtigen Prioritäten in seinem Leben setzt.
© Matthias Pierre Lubinsky 2018