Lovis Corinth, Eduard von Keyserling, 1901
Klaus Modick, Keyserlings Geheimnis. Roman
240 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag und Leseband.
Kiepenheuer & Witsch 2018. 20 €.
Klaus Modick führt mit seinem Roman Keyserlings Geheimnis seine Kunstfertigkeit der lebensnahen Schilderungen auf ein neues Tableau. Der Leser wird Glauben gemacht, Modick sei tatsächlich dabei gewesen. – Dabei ist die geschilderte wunde Lücke in des Grafen Biographie fingiert.
Der 1855 auf Schloss Paddern bei Hasenporth in Kurland, heute Lettland, geborene Eduard Graf von Keyserling (1855-1918) war ein erfolgreicher Schriftsteller und Dramatiker. Er wird dem Impressionismus zugerechnet. Bis vor einigen Jahren befand sich Keyserling nicht im so genannten Kanon – was immer das auch sein mag – der deutschen Literatur. Bis vor einigen Jahren Keyserlings schmales Buch Wellen neu veröffentlicht worden ist. Einige Kritiker sprudelten über vor Lob und hatten beinahe ein schlechtes Gewissen, weil sie den Balten bislang nicht auf ihrem Schirm gehabt hatten. Ein Kritiker der Zeit zog Keyserling gar Fontane vor.
Keyserling hatte starke Züge eines Dandys: In jungen Jahren führte er ein ausschweifendes Leben, – wo er sich auch die Syphilis zuzog, die ihn ein Leben lang malträtierte. Er legte äußersten Wert auf eine gediegene Erscheinung und war ein begnadeter Konversateur, ohne Zynismus aber mit viel Ironie.
Klaus Modick schreibt zwar einen biographischen Roman; er kümmert sich darin aber nur um die mittlere Lebenszeit seines Kollegen. Nach mittelmäßigem Schulerfolg und abgebrochenem Jura-Studium verließ der junge Adlige unvermittelt seine Heimat. Genaueres ist nicht bekannt. Heute weiß man nur, dass Keyserling aus der Studenten-Verbindung Curonia unehrenhaft ausgeschlossen worden ist und dass seine Familie ihn daraufhin mied. Selbst Freunden, mit denen er später in Berlin und hauptsächlich München-Schwabing verkehrte, erzählte er nichts über die Gründe seiner Flucht.
Das brachte Klaus Modick auf die Spur. In einem äußerst spannenden Plot lässt er diese Gründe im Roman immer wieder angesprochen sein – ohne eine Antwort zu geben und das Geheimnis zu lüften. Das macht der Romancier erst in den letzten beiden Kapiteln. So liest sich der Roman wie ein Krimi und dabei unterhaltsam. Modick versteht es in ungeheurer Präzision seiner sprachlichen Bilder, die Ereignisse so exakt zu schildern, dass beim Leser der Eindruck entsteht, es könne gar nicht anders gewesen sein. »Der Schnee schmolz, der Champagner des Frühlings schäumte übermütig, wurde aber schnell schal, weil Keyserling immer öfter Gedanken an unbeglichene Zechen beim Heurigen, offene Rechnungen und Spielschulden beunruhigten.«
Modick kann gar in die Köpfe seiner Protagonisten schauen; – und schildert ihre Gedanken so wahrhaft, dass man es ihm glauben möchte. Klaus Modick gelingt ein erzählerisches Kunstwerk, weil er die Ebenen des Geschehens und des Reflektierens der Beteiligten gelungen miteinander verwebt. »Mondlicht wirft den Schatten des Fensterrahmens als schwarzes Kreuz auf die Dielen. Er [Keyserling] öffnet einen Fensterflügel, lässt den Duft der Sommernacht ins Zimmer schweben und verharrt im Mondschein wie unter einer Dusche […]
Das ist Unterhaltungsliteratur als höhere Kunst.
© Matthias Pierre Lubinsky