Francois-René de Chateaubriand – Erinnerungen von jenseits des Grabes

François-René de Chateaubriand (1768-1848); Gemälde von Anne Louis Girodet-Trioson

 

 

 

François-René de Chateaubriand, Erinnerungen von jenseits des Grabes.
Aus dem Französischen von Sigrid von Massenbach,
Matthes & Seitz Berlin Verlag 2017, 896 Seiten, Leinen, 38 €.

 

 

Der französische Schriftsteller, Diplomat und Lebemann François-René de Chateaubriand ist in Deutschland vor allem bekannt als Namensgeber eines Rinderfilets. In seinem Heimatland wird er dagegen nach wie vor verehrt als bedeutender Frühromantiker. Bei Matthes & Seitz Berlin erscheint nun die Neuausgabe seiner Erinnerungen von jenseits des Grabes.

 

 

François-René de Chateaubriand (1768-1848) kostete die Höhen und Tiefen, die ein Leben bieten kann, voll aus. Geboren als jüngstes von zehn Kindern einer alten bretonischen Adelsfamilie, wuchs er auf in der Hafenstadt Saint Malo und auf dem nahegelegenen Familiensitz Schloß Combourg. Nach sechsjähriger Studienzeit tritt Chateaubriand in ein Regiment ein, das unweit von Paris stationiert ist. Am 14. Juli 1789 ist er bei der Stürmung der Bastille dabei. Die rohe Gewalt der Revolutionäre stößt ihn ab. In diesen Jahren ist er Gast der bedeutendsten literarischen und gesellschaftlichen Salons von Paris.

 

 

Um der Gefahr, als Adliger verschleppt zu werden zu entgehen, reist Chateaubriand 1791 nach Amerika, wo er sich ein halbes Jahr aufhält. Direkt nach seiner Rückkehr heiratet er eine junge Adlige. Diese verläßt er umgehend, weil er sich der Armée des émigrés anschließt. Es ist eine hauptsächlich aus französischen Adeligen bestehenden Truppe, die an der Seite von Österreich und Preußen gegen das revolutionäre Frankreich kämpft, um König Ludwig XVI. und die Monarchie wieder in ihre absoluten Rechte einzusetzen.

 

 

Nach einer schweren Verwundung erkrankt Chateaubriand an Pocken und schlägt sich auf abenteuerlichen Wegen nach Jersey zu einem Onkel durch. Nach seiner Genesung läßt er sich in London nieder, wo er in armen Verhältnissen als Französischlehrer und Übersetzer lebt. Gleichzeitig verfaßt er seine ersten Schriften.

 

 

Im Jahr 1800 folgt er dem Aufruf Napoleons, kehrt nach Frankreich zurück und beginnt eine Karriere als hoher Beamter. Zwei Jahre später erscheint seine Schrift Der Geist des Christentums, die ein ungeheurer Erfolg wird und zu einer Renaissance der Kirche im nach-revolutionären Frankreich führt. Im Jahr zuvor war bereits Atala, Chateaubriands romantische Indianernovelle mit großem Erfolg veröffentlicht worden.

 

 

1893 wird Chateaubriand französischer Legationssekretär in Rom. Ein Jahr darauf demissioniert er und bricht zu einer zehnmonatigen Reise in den Orient auf. Unter Ludwig XVIII. wird Chateaubriand französischer Innenminister. Nachdem sich Chateaubriand weitgehend aus dem öffentlichen Leben zurückgezogen hat, schließt er 1841 die Erinnerungen von jenseits des Grabes ab.

 

 

Bedeutende Erinnerungen. Die Memoiren Chateaubriands sind in vielfacher Hinsicht bedeutend. Zum einen schildert er sehr anschaulich eine besondere Epoche der Geschichte, an der er an vorderster Front teilnimmt: Revolution und Gegenrevolution. Obwohl viele Mitglieder seiner Familie von Revolutionären ermordet wurden, beschreibt er die Lage im revolutionären Paris sachlich – ohne Haß. Doch bleibt der Adlige nicht nur wacher und genau beobachtender Zeuge der Geschehnisse. Viel zu sehr ist er von eigenem politischem Gestaltungswillen getrieben, um in désinvolture verharren zu können. So schließt er sich dem reaktionären Emigrantenheer an und wagt sein Leben. Aus welchen Gründen genau er seine diversen Ämter nach stets recht kurzer Zeit wieder aufgab, kann heute nicht mehr verifiziert werden. Jedoch spricht es wohl für Chateaubriands Charakter, daß er für einen einmal erreichten Karriereposten, verbunden mit all seinen Annehmlichkeiten, sich nicht korrumpieren ließ. Ach, hätten wir doch heute mehr Chateaubriands!

 

 

Ein freier Geist. Inmitten der Kämpfe seiner Zeit bleibt Chateaubriand ein freier Geist, der zwischen Revolution und Königtum, Religion und Aufklärung seiner Zeit deutlich voraus ist und in den – zu dieser Zeit scheinbaren Gegenpolen – gar keine Gegensätze sieht. Obwohl die Hälfte seiner Familie ermordet wird, sieht er auch die Gründe des Aufstandes.

 

 

Weltliteratur. Was müßte der Rezensent noch alles hervorheben? Richtig: Last but not least ist Chateaubriand ein Autor von Gnaden. Neben dem Inhalt ist also auch sein sprachlicher Stil herausragend und hat Generationen von französischen Autoren beeinflußt. Matthes und Seitz veröffentlicht die Erinnerungen von jenseits des Grabes in der Übersetzung von Sigrid von Massenbach, die versucht, dem Original so nahe wie möglich zu bleiben. Sie erschien erstmalig 1968.

 

 

Ein großer Dandy. Natürlich war Chateaubriand ein Dandy in dem hier vertretenen Sinne. Nicht zufällig haben sich nachfolgende Autoren auf ihn dezidiert berufen: Marcel Proust, selbst Roland Barthes… Einer seiner Feinde brachte den Charakter Chateaubriands auf den Punkt: Dessen Ideal sei eine Mönchszelle auf einer Bühne gewesen. Ein Leben also, in Zurückgezogenheit, um den Zumutungen des Lebens zu entgehen und der Kontemplation zu frönen, – und gleichzeitig jedoch mit dem Bedürfnis, ständig wahrgenommen zu werden.

 

 

Der Matthes & Seitz Berlin Verlag hat intuitiv den besten Zeitpunkt zur Wiederveröffentlichung gewählt: Der französische Präsident Macron will die EU neu gründen; die deutschen Establishmentparteien sind bei der Bundestagswahl abgewatscht worden – und trudeln ignorant ihrem Untergang entgegen. Uns fehlen Geister wie Chateaubriand: Adliger mit autochthoner Verwurzelung, gebildet intellektuell und im Herzen, mutig und aufrecht. Diplomat und Schriftsteller in einer Person. Chapeau.

 

 

Vivre Chateaubriand!