Ernst Jünger – Subtile Jagden

Ernst Jüngers Großessay zur Insektenkunde in einer bibliophilen Neuausgabe
© Klett-Cotta 2017

 

 

 

Ernst Jünger, Subtile Jagden
Mit einem Essay von Uwe Tellkamp und Illustrationen von Walter Linsenmaier.
1. Aufl. 2017, 307 Seiten, großformatiger Leinenband mit Prägung, bedruckter Vorsatz, 12 Farbtafeln von Walter Linsenmaier, Bauchbinde, 50 €.

 

 

Ernst Jüngers Subtile Jagden sind ein grandioser Großessay, in dem der Jahrhundertautor Autobiographisches mit Philosophischem, Naturbetrachtung mit Reflexion virtuos verbindet. 50 Jahre nach der Erstausgabe veröffentlicht Klett-Cotta eine bibliophile Jubiläumsausgabe mit Insektenzeichnungen von Walter Linsenmaier und einem Essay von Uwe Tellkamp.

 


In den Jahren direkt nach dem Zweiten Weltkrieg schrieb Ernst Jünger (1895-1998) eine Reihe kleiner Bücher, in denen er sich mit der Überwindung des Nihilismus (Über die Linie) und dem Überleben in einer feindlich gesinnten Umgebung (Der Waldgang) beschäftigte. In den 1960er Jahren begann bei dem Autoren, der als junger Mann am Ersten Weltkrieg teilgenommen hatte, eine Entwicklung weg vom Politischen hin zu immer grundlegenderen Auseinandersetzungen.

 

 

In seinem Großessay Subtile Jagden, der erstmals 1967 erschien, beschreibt er seinen Spleen des Käfersammelns. Dabei handelt es sich keineswegs um ein entomologisches Werk. Jüngers Leidenschaft für das Auffinden, Sammeln und Einordnen der kleinsten Tiere ist quasi die eine Seite seiner Weltbetrachtung. Stets betonte der Dichter, der fast das gesamte 20. Jahrhundert literarisch begleitete, ihn interessiere nur das ganz Kleine auf der Welt oder das ganz Große. Neben seiner Leidenschaft für Insekten konnte er sich für Astrologie begeistern und philosophierte über die Bedeutung unserer Erde im Universum.

 

 

In diesem Sinne formulierte er seinen Stereoskopischen Blick: Es ginge im Leben darum, die Dinge in ihren kleinsten Details zu betrachten wie aus großer Entfernung, um ihre Funktion im Gesamtgefüge der Welt zu verstehen.

 

 

Ernst und sein jüngerer Bruder Friedrich-Georg bekommen als Schulkinder von ihrem Vater jeder eine Erstausrüstung geschenkt, mit der sie auf Käferjagd gehen sollen: ein Netz, Nadeln, eine Fangflasche und ein Kasten, dessen Boden mit Torf ausgelegt und mit Glanzpapier bezogen war.  Jünger hebt in seinem Buch an mit der Beschreibung seiner Kindheit in Rehburg am Steinhuder Meer.

 

 

So schulte die Käferkunde schon früh die Aufmerksamkeit des Jungen für die kleinsten Unterschiede. Dabei sind Carabus, Mylabris, Antaeus und Cicindela eher erzählerischer Background. Ihre scheinbar unendliche Vielfalt steht für den Bauplan der Natur, für ihre Entzifferbarkeit genauso wie für ihr letztliches Geheimnis. Wofür diese Vielfalt?

 

 

Der passionierte Käfersammler, zu dem Jünger rasch wurde, vergleicht als philosophischer Schriftsteller die Betrachtung eines gefundenen Objekts mit dem Lesen einer Hieroglyphen-Schrift. In beiden Fällen seien umfassende Kenntnisse erforderlich. Der Unwissende erfährt nichts. Wie die fremde Schrift aus untergegangener Vergangenheit, so erzähle auch das Insekt mit seinem Körperbau und seinen Zeichnungen auf dem Panzer von längst ausgestorbenen Arten, von Vergangenem.

 

 

So dienen Jünger die Käfer letztlich als Folie für Reflexionen über die Welt der Erscheinungen. Auch wenn etwa zwei Dutzend Käfer, Schnecken und andere Sporentiere nach Jünger benannt worden sind, weil er sie entdeckte, geht es ihm nicht darum, diese Tiere nur zu sammeln, um ihre Unterschiede katalogisieren zu können. Über den Spleen des Entomolgen hinaus sucht er mittels der Käfer nach einem tieferliegenden Plan der Welt.

 

 

Daher verwundert es nicht, wenn Jünger den Bogen virtuos weiter spannt. Er reflektiert ausgehend vom Käfersammeln über die Leidenschaft des Sammlers, die nicht selten im Wahnsinn geendet sei, und vergleicht den Insekten- mit dem Bücher-Sucher.

 

 

Was dieses Buch literarisch so wertvoll macht, ist Jüngers kunstvolles Verweben von Biographischem, Anekdotischem  mit Philosophischem, von Historischem mit aus der Naturbetrachtung Entspringendem. Käfer können gelesen werden wie ein Buch. Immer kommt es auf den Leser an. Was will, was kann ich erkennen.

 

 

Uwe Tellkamp steuert zum 50 Jahre alten Text einen kongenialen Essay bei, in welchem er nicht nur über seine Erfahrungen mit dem Buch berichtet. Die zunehmenden Verluste der immer weiter fortschreitenden Technisierung und Political Correctness werden von ihm – Jünger würde sich bedanken – angesprochen: »Die Beschäftigung mit Insekten ist abseits von ertragssteigernden Vergiftungsmaßnahmen in der Landwirtschaft aus der Mode gekommen […] Schon die Wörter ‚getötet‘ und ‚Beute‘ setzen Stiche: töten ist böse, Beute machen – da regt sich das Gewissen […] Wir essen zwar ohne Bedenken Obst und Gemüse, auf dem alle Schädlinge – Insekten und ihre Larven – durch Tonnen von Spritzmitteln umgebracht worden sind, regen uns aber darüber auf, daß Insektenforscher ein Pfauenauge nadeln.«

© Matthias Pierre Lubinsky 2017