Thomas Bernhard – Städtebeschimpfungen

Die Städtebeschimpfungen von Thomas Bernhard konzentriert in einem Band
© Suhrkamp Verlag 2016

 

 

 

Thomas Bernhard, Städtebeschimpfungen.
Herausgegeben von Raimund Fellinger,
178 Seiten, Paperback, Suhrkamp Verlag 2016, 9,90 Euro.

 

 

Die Haßtiraden von Thomas Bernhard sind Legende. Menschen, Meinungen, Städte: nichts war vor den wüsten Beschimpfungen des österreichischen Schriftstellers sicher. Nun bringt Bernhards Verlag Suhrkamp ein Bändchen mit den gesammelten Beschimpfungen von Städten aus dem Gesamtwerk.


Traunstein? »Ein paar Schritte in diese Stadt hinein, und man sei schon beschmutzt, ein paar Wörter mit einem ihrer Einwohner gesprochen, und man müsse erbrechen«, schreibt Thomas Bernhard. Wien sei heute eine »durch und durch proletarisierte Stadt, für welche ein anständiger Mensch nurmehr noch Spott und Hohn und die tiefste Verachtung übrig haben kann«, resümiert der in Österreich lebende Bernhard. Mit Verve drüpiert er die Hauptstadt seiner Heimat: »Was in ihr groß oder auch nur beachtenswert gewesen ist, verglichen mit der übrigen Welt, ist längst tot, die Gemeinheit und die Dummheit und die mit diesen beiden gemeinsame Sache machende Scharlatanerie beherrschen heute die Szene«, diagnostiziert der in Holland geborene Künstler.

 

Thomas Bernhard (1931-1989) hat in seinem umfangreichen Werk – die bei Suhrkamp erschienene Werkausgabe umfaßt stolze 22 Bände – aus seinem Herzen keine Mördergrube gemacht. Nun veröffentlicht der Verlag ein Taschenbuch mit den gesammelten Städtebeschimpfungen, so sein Titel.

 

Blättert man durch das Buch, in dem die Städte alphabetisch sortiert sind, so gelangt man rasch zum Eindruck, Bernhard habe sich nirgends auf der Welt wohlgefühlt: Ein Planet voller bornierter, dummer Spießer, voller ungebildeter Philister und »geldgieriger Politiker«. So sind die Namen der Orte austauschbar, unerträglich ist es praktisch überall: »Salzburg, Augsburg, Regensburg, Würzburg, ich hasse sie alle, weil in ihnen jahrhundertelang der Stumpfsinn warmgestellt ist.«


Der Band dokumentiert zusätzlich zu den Auszügen aus Bernhards Werk einige Stellungnahmen, Erwehrungen und Zeitungsberichte über die eruptiven Folgen der vernichtenden Charakterisierungen. Besonders süffisant liest sich heute, über 40 Jahre nach der Uraufführung, die hitzige Debatte, die sich über Bernhards Stück Die Macht der Gewohnheit ergoß. Der Autor ließ hierin Caribaldi, das Mitglied einer reisenden Zirkustruppe, Augsburg als als »muffige[s] verabscheuungswürdige[s] Nest« und als »Lechkloake« bezeichnen. Daraufhin schrieb der damalige Oberbürgermeister von Augsburg an den Verleger Siegfried Unseld einen Brief. Er lud Bernhard für drei Tage in die Stadt ein, damit sich dieser selbst ein Bild von der drittgrößten bayrischen Stadt mache. Dokumentiert sind weiter Zeitungsberichte aus der Augsburger Allgemeinen und der überregionalen Zeit.

 

Daß es Bernhard selbst an Schalk nicht fehlte, beweis er dann mit einem Überraschungsbesuch bei der Augsburger Allgemeinen. Er fragte den Pförtner, ob die anwesende Feuilleton-Redakteurin Humor habe, bevor er um Einlaß bat. Die zeigte sich völlig überrascht, nahm sie doch an, es handle sich bei ‚Bernhard‘ um den Maler Georg Bernhard. Umso erstaunter war sie dann, als der lächelnde Schriftsteller, der 1974 bereits sehr bekannt war, auftauchte, um mit ihr darüber zu plauschen, ob  die Augsburger etwa keinen Spaß verstehen.

 

Thomas Bernhards Städtebeschimpfungen sind einerseits ernst zu nehmen; andererseits auch nicht so ganz. Der Autor arbeitete mit Sarkasmus und Übertreibung. Die Nennung von Namen tatsächlich existierender Städte diente ihm sozusagen zur Erdung seines abstrakten Weltschmerzes. Einerseits. Andererseits müssen die genannten Orte genau dafür herhalten: Als Embleme seiner Verachtung einer Welt, in der der Geistesmensch nichts zähle.

© Matthias Pierre Lubinsky 2016