© Ydessa Hendeles, From Herr Wooden Sleep
Photo: Robert Keziere
Ydessa Hendeles, From Her Wooden Sleep…
496 Seiten mit 312 Abbildungen, mit beiliegender CD, Leinen, Hatje Cantz Verlag 2016, 75,- Euro (D.)
Die kanadische Künstlerin Ydessa Hendeles gestaltete im vergangenen Jahr eine außergewöhnliche Installation mit 150 Manikins. Ein opulentes Photobuch präsentiert nun auf beinahe 500 Seiten dieses berührende Kunstwerk: From Her Wooden Sleep…
150 Manikins sitzen wie in einer Schulklasse auf Holzbänken. Sie alle schauen nach vorne. Dort, wo ein lebensgroßer Manikin auf einem Podest steht. Sie alle sind aus Holz. In dem großen Raum befinden sich verschiedene Schaukästen und Vitrinen – in demselben dunklen Holz wie die Figuren. An der einen Wand hängen verzerrende Spiegel. Auch die Manikins, die auf Bänken an der Seite sitzen, richten ihren Blick nach vorn, zum Manikin auf dem Podest.
Es ist eine zutiefst berührende und dabei zugleich verstörende Veranstaltung, die die kanadische Künstlerin Ydessa Hendeles 2015 im Londoner Institut of Contemporary Arts (ICA) geschaffen hatte. Der Betrachter verliert den Glauben, dass es sich hier nur um hölzerne Figuren ohne Seele handelt. Darüber hinaus schafft der Raum mit der Anordnung der unterschiedlich großen Manikins eigene, ungewohnte Beziehungen. Irgendwie scheinen sie zusammen zu gehören. Dabei stammen die Holzfiguren mit beweglichen Gliedmaßen aus einem Zeitraum zwischen 1520 und 1930. Manikins dienen wissenschaftlichen Zwecken, häufig Anatomie-Studien in der Medizin. Heute werden Kunststoff-Manikins vor allem in der Automobil-Industrie eingesetzt, um die Sicherheit der Fahrzeuge bei Unfällen zu testen.
© Ydessa Hendeles, From Herr Wooden Sleep
Photo: Robert Keziere
Ydessa Hendeles‘ Installation lässt die Grenzen zwischen den Künstler-Rollen Gestalter, Sammler, Kurator auflösen. Für den Betrachter verschwimmen noch so manch andere Wahrnehmungen. Bin ich nur Beobachter oder vielleicht gar Teil der Gemeinschaft? So kann der wirklich Suchende auch zur Frage seiner eigenen Existenz gelangen, die ihm diese alten Holzfiguren reflektieren: Nutze ich mein Leben oder bleibe ich stets nur an einer Oberfläche?
Akustisch wurde die Installation begleitet von Charles Debussys Golliwogg Cakewalk, dem sechsten Teil aus seiner 1908 erschienenen Kleinen Suite. Sie vereint die Leichtigkeit damals gängiger Stile, wie dem Ragtime, mit durchaus melancholischen Teilen. Debussy schrieb die Suite für seine damals dreijährige Tochter, was ihre assoziative, an Traumwelten erinnernde Ausrichtung erklären mag. Die Musik liegt dem Buch als CD bei. Auch diese Ebene des Werkes kann hier nur angedeutet werden; – viele Beziehungen führen diese Musik zu den Figuren, die bis zur Rassentrennung reichen…
Ydessa Hendeles From Her Wooden Sleep… ist so berührend, dass man hoffte, es würde noch an vielen anderen Orten der Welt gezeigt. Immerhin haben wir nun die Chance einer ausgiebigen Betrachtung durch das opulente Photobuch, das uns die irritierend-schöne Versammlung der Manikins auf über 300 Abbildungen zeigt. In einem ausführlichen Textteil erläutert die 1948 in Marburg geborene Künstlerin die Herkunft und Geschichte der einzelnen Holzmenschen und anderer Teile des Werkes. Unverständlich und schade ist allerdings, dass diese für das Verständnis des so interessanten Werkes wichtigen Erläuterungen nicht übersetzt beigefügt worden sind.
© Matthias Pierre Lubinsky 2016
© Ydessa Hendeles, From Herr Wooden Sleep
Photo: Robert Keziere