Virginia Woolf (1882-1941). Portrait von George Charles Beresford, 1902
Quelle: wikipedia.org
Virginia Woolf, Beau Brummell.
Aus dem Englischen von Tanja Handels, 39 Seiten, gebunden in Leinen mit Titelvignette, L.S.D. Verlag, Göttingen 2015, 14,80 €.
Am 20. November 1929 strahlte die BBC eine weitere Folge ihrer Sendereihe Miniatur-Biographien aus: Die britische Schriftstellerin Virginia Woolf portraitierte den Ur-Dandy Beau Brummell. Dieser kurze Essay erscheint nun neu übersetzt in einer bibliophilen Ausgabe.
Man sieht die britischen Hörer der BBC förmlich an ihren Radio-Apparaten gefesselt. Bei schummrigem Licht, den Kopf aufmerksam in den Ohrensessel gesenkt. Virginia Woolf (1882-1941) zieht die Hörer – nun die Leser – in ihren Bann. Sie erzählt die Lebensgeschichte des Mannes, dem im Nachhinein die Begründung des Dandytums zugeschrieben wird. Denn die Erschaffung kaum einer anderen Sozialfigur wird so mit einer einzigen Person verbunden wie der des Dandys. Natürlich ist ein Gutteil daran Legende. Dennoch haben sich Generationen nachfolgender Dandys, die es waren oder nur sein wollten, an George Bryan Brummell (1778-1840) abgearbeitet. Lord Byron, Zeitgenosse Brummells, äußerte sich über seinen ästhetischen Landsmann – eines Dandys gemäß – anerkennend. Für ihn – Byron – gebe es nur drei bedeutende Männer: neben ihm selbst nur noch Napoleon und Brummell. Oscar Wilde nannte den Beau öfter als Vorbild. Auch Ernst Jünger, Sebastian Horsley, Bryan Ferry oder Nick Cave kennen ‚ihren‘ Brummell.
Virginia Woolf spannt den Bogen vom Schulden-Exil des gealterten Dandys in Caen auf der französischen Seite des Kanals. Hierhin mußte der völlig abgebrannte Lebemann flüchten, drohte ihm doch zu Hause das Schuldengefängnis. Woolf beginnt ihre kurze Biographie in der kleinen Stadt, die nur etwa 150 Kilometer vom gegenüberliegenden Brighton entfernt ist, und läßt sie auch hier enden. Ohne Häme schildert Woolf, die später zu einer der bedeutendsten Schriftstellerinnen der englischen Moderne werden sollte, wie der gebrochene Brummell zur Tür seiner möblierten Wohnung ging, weil der Diener ihm »Die Duchess of Davonshire« gemeldet hatte.
»Nur leider war da niemand. Nur ein kalter Luftzug wehte die Treppe des Gasthofs empor. Die Duchess war lange tot, und Beau Brummell, gealtert und senil geworden, träumte nur, er sei wieder in London und gebe eine Gesellschaft.«
Trotz ihrer Kürze enthält die Studie über den Ur-Dandy die wichtigsten Anekdoten. Will man das Leben Brummells genauer kennenlernen, muß man auf eine der großen Biographien zurückgreifen: Als Standardwerk gilt heute noch immer die zweibändige von Captain Jesse (1884), die allerdings nur in zwei kleinen Auflagen in England und Amerika erschien. Die Biographie von Lewis Melville (1924) ist nicht ganz so apologetisch. Die Lebensbeschreibungen von Kathleen Campbell (1948) und Hubert Cole (1977) spüren Brummell nicht nur zeitlich aus größerer Distanz nach. Vielleicht bringen Lagerfeld/ Steidl das umfangreiche Werk von Jesse, der Brummell noch persönlich begegnen konnte, eines Tages in Deutsch.
Der Mini-Essay von Virginia Woolf ist eine der wenigen Quellen über Brummell, die seit Jahrzehnten in Deutsch verfügbar sind. In der Literaturwissenschaft konnte man außerdem nur noch auf Barbey d’Aurevillys Über das Dandytum und über George Brummell, das ebenfalls in einer hervorragenden Neuübersetzung vorliegt, zurückgreifen.
Virginia Woolfs Beau Brummell ist eine weitere wunderbare Wieder-Entdeckung von Karl Lagerfeld für den von ihm und Gerhard Steidl gegründeten L.S.D.-Verlag. Die hochwertige Gestaltung mit Leinenbindung und Titelvignette sowie der Druck auf hochwertigem Papier machen das Bändchen zum idealen Geschenk – für Connaisseure als Mitbringsel oder für sich selbst.
© Matthias Pierre Lubinsky 2015