Der fulminante Schluss:
Kurz nach Raddatz‘ Freitod publizierte Rowohlt das Erinnerungsbuch
© Rowohlt Verlag 2015
Fritz J. Raddatz, Jahre mit Ledig.
Eine Erinnerung.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2015, 159 Seiten, geb. in Leinen, Leseband, 16,95 Euro (D).
Fritz J. Raddatz beendet sein Gesamtkunstwerk namens Leben mit einem Erinnerungsbuch an seinen langjährigen Verleger und Seelen-Freund Heinrich Maria Ledig-Rowohlt. Jahre mit Ledig – Ein Erinnerungsbuch ist dabei viel mehr als das. Es ist deutsche Nachkriegsgeschichte, die emphatisch erzählte Geschichte zweier Männer, deren Freundschaft durch viele Umstände grausam scheiterte. Und es ist – ein wahrhaft grandioses Büchlein.
Wie kann man ein Buch, ein Leben mehr adeln als durch einen bewusst gewählten Freitod? Das meint nicht eine effekthascherische Marketing-Handlung, sondern die essenzielle, die letztgültige Tat. Das muss man heute leider wohl dazusagen. Unweigerlich muss man an zwei Bücher denken, die auch noch nicht so furchtbar als sind, jedoch vergessen scheinen. 1976 veröffentlichte Jean Améry sein ungeheures Buch Hand an sich legen – Diskurs über den Freitod. Sein späterer Suizid lässt den Leser noch stärker erschauern, wenn er nur die erste Kapitelüberschrift liest: Vor dem Absprung. 1988 dann Hermann Burgers Tractatus logico-suicidales, das genauso eine Logik aufbaut, die keinen anderen Entschluss mehr zulässt.
Fritz J. Raddatz‘ Freitod hat mit dem hier vorgestellten Buch scheinbar nur mittelbar zu tun. Scheinbar. Es erschien just an dem Tag, an dem sein Tod bekannt wurde. Seinen bevorstehenden selbstgewählten Abgang hatte FJR, wie der Literaturkritiker, Herausgeber und Autor genannt wurde, bereits 2013 in der Welt erläutert.
FJR legte eine Karriere hin, wie sie heute nicht mehr denkbar ist. Bereits mit 20 Jahren arbeitete er für den Ost-Berliner Verlag Volk und Welt. Kurz nach seiner Flucht aus der DDR im Jahr 1958 fängt er beim Rowohlt Verlag in Reinbeck bei Hamburg an. Zuerst als reiner Adlatus von Ledig-Rowohlt, wird er alsbald immer einflussreicher und prägt dann das Programm. Zum Zerwürfnis führt Ende der 1960er Jahre ein Skandal, den Dieter E. Zimmer für Die Zeit minutiös aufgearbeitet und für den er den Theodor-Wolff-Preis erhielt (Frißt die Revolution ihre Verleger? Die Zeit vom 26. September 1969).
Den Verlag erschütterte damals, dass die Bundeswehr von verschiedenen Büchern des Verlags große Kontingente ohne Einband und Impressum bestellte. Es waren anti-kommunistische Texte, die die Bundeswehr über der damaligen DDR abwarf. Davon waren wohl weder Raddatz noch Ledig-Rowohlt informiert.
FJR schildert auch diesen Skandal wie so viele andere hoch interessante Begebenheiten aus einer Zeit, wo es noch politische Auseinandersetzungen gab. Sein Abstand war nun groß genug, sein Freitod längst detailliert geplant, sodass er niemandem mehr etwas beweisen musste. So sind diese Erinnerungen frei von jedweden Schulzuweisungen oder irgend moralisierend.
Der langjährige Untergebene schildert seinen Chef Ledig-Rowohlt als einen hoch sensiblen, tief verletzlichen Mann, der riesiges Verständnis für un-bürgerliche Lebensgewohnheiten hatte. Ledig-Rowohlt sei von seiner eigenen Geschäftsführung, die er ja schließlich bezahlt hat, letztlich nicht geachtet worden: »Dieser Ledig mit seinen zu farbigen Krawatten, lila- oder orange-farbenen Strümpfen, breiten, bestickten Hosenträgern, bald liiert mit einer ganz und gar unspießigen Schönheit, die zwei Mal vom Porzellanfabrikanten Rosenthal geschieden war (und später Jane Ledig-Rowohlt wurde), dieser Genet-Henry-Miller-Sartre-Nabokov-Lady-Chatterley-Verleger war nicht nach dem Geschmack jener Leute (den sie nicht hatten).