Michel Onfrays Essay über Beau Brummell. Ausgewählt und mit einer Titelvignette von Karl Lagerfeld
© L.S.D. Verlag 2014
Michel Onfray, Leben und Tod eines Dandys.
Aus dem Französischen von Stephanie Singh.
L.S.D. Verlag Göttingen 2014, 80 Seiten geb. in Leinen, 14,80 Euro.
Der französische Philosoph Michel Onfray schrieb ein Büchlein über George Bryan Brummell (1778-1840). Aber nein – dieser Satz ist schon nicht ganz korrekt. Er schrieb einen Essay über den Mythos des ersten Dandys. – Eine grandiose, eine dandyeske Nebelkerze!
Das nur etwa 80 Seiten umfassende Buch besteht aus zwei Teilen. Im ersten schildert der Autor das Leben des Dandys, so wie er es sieht. Er räumt dabei mit allen mythisierenden bisherigen Schilderungen gründlich auf, die aus Brummell das gemacht haben, was man heute in ihm sieht. Wer Onfray kennt, der kennt seinen Stil: Der normannische Philosophie-Lehrer ist nicht zimperlich in seinen Meinungen und Ohrfeigen. Gekennzeichnet ist seine Argumentation durch mantrahafte Wiederholungen, die beim Lesen manchmal durchaus nerven. Es scheint, er wolle Beau Brummell vom Thron des dandysme stoßen.
Dennoch fragt man sich beim Lesen, worauf er eigentlich hinauswill. Denn immerhin macht er sich die Mühe, Brummells Leben zu schildern und mit dem Büchlein von Jules Barbey d’Aurevilly Vom Dandytum und von G. Brummell (1844) abzugleichen. Kurz gesagt: Er lässt an der Schilderung seines normannischen Landsmannes Barbey kein gutes Haar. Onfray kommt zu dem Ergebnis, Barbey hätte ein beschönigendes Bild vom Ur-Dandy entworfen. Eines, das seiner Selbst-Sicht entsprach: So will ich sein. Aber mit Brummell hätte das alles in Wahrheit wenig zu tun. Lang und breit beschreibt Onfray Brummells Untergang; Schuldengefängnis, Flucht nach Calais und dann Caen, sein körperlicher Verfall über Jahre.
Im zweiten Teil geht Onfray auf Barbey selbst ein und erzählt von dessen Dandy-Allüren. Noch immer beschleicht den Leser ein vages Fragezeichen. Zum Schluss bringt der Autor Baudelaire ins Spiel. Der Dichter der Fleurs du mal war mit Barbey befreundet. Beide verband eine große gegenseitige Sympathie und eine ähnliche geistige Sichtweise, wozu auch die Affinität zu einer bestimmten Art von Dandytum gehörte. Auf wenigen Seiten referiert Onfray Baudelaires Dandy-Programm mit den wichtigsten Zitaten aus dessen Werk.
Den Atem verschlägt einem der letzte Satz des Buches. Der darf hier nicht verraten werden. Nur soviel sei angedeutet: Die vorhergehenden etwa 70 Seiten sind eine Einleitung – Nebelkerze…
Begeben wir uns in bezug auf Onfrays mögliches Motiv auf Spurensuche, so finden wir das große Buch über Camus, das in Deutschland 2013 erschien. Im Namen der Freiheit. Leben und Philosophie des Albert Camus hat stattliche 576 Seiten und ist ebenfalls durch viele Wiederholungen geprägt und ein deutliches Bashing von Onfray Ungeliebten. Allen voran sind dies Sartre und Siegmund Freud. Soweit so gut. Auffällig ist, dass Onfray, der sich augenscheinlich mit dem von ihm hoch verehrten Camus ausgiebig beschäftigt hat, dessen wenige aber dafür umso treffendere Sätze über das Dandytum in seinem nun erstmals in Deutsch erschienenen Essay verschweigt.
In Der Mensch in der Revolte (1951) beschreibt Camus eine Reihe von Lebensentwürfen, dem absurden, also nihilistischen, sinnentleerten – man könnte auch sagen rein materialistisch orientierten – Dasein zu entfliehen. Eine Variante für den Literatur-Nobelpreisträger ist der Dandy. Camus schildert den Dandy als eine Sozialfigur, die sich den Anmaßungen von Staat und Gesellschaft durch eine Besinnung und konsequente Konzentration auf sich selbst entzieht:
»Der Dandy erschafft sich seine eigene Einheit mit ästhetischen Mitteln.« »Der Dandy sammelt sich selbst, schmiedet sich eine Einheit gerade durch die Kraft seiner Weigerung.« »Der Dandy ist demnach gezwungen, immerfort zu verblüffen. Seine Berufung liegt in seiner Absonderlichkeit, seine Vollendung im Überbieten. Immer im Bruch mit der Welt, am Rand, zwingt er die anderen, ihn selbst zu erschaffen, indem er ihre Werte leugnet. Da er sein Leben nicht leben kann, spielt er es vor. Er spielt es vor bis zu seinem Tode, die Momente ausgenommen, wo er allein und ohne Spiegel ist.«
Mit anderen Worten: Der Dandy hat als einer der wenigen die Kraft, sich außerhalb der Gesellschaft zu stellen. Eine Eigenschaft, die manche heute als dringender denn je erachten. Diese Sätze sind der geistige Subtext zu Michel Onfrays Nebelkerzen-Essay. Das Buch wurde übrigens von Karl Lagerfeld für den deutschen Leser entdeckt…
© Matthias Pierre Lubinsky/ DANDY-CLUB 2014