Die Briefe von der Front zeigen einen draufgängerischen Ernst Jünger
© Klett-Cotta2014
Ernst Jünger, Feldpostbriefe an die Familie 1915-1918.
Hrsg. von Heimo Schwilk, 144 Seiten mit Photos, gebunden mit Schutzumschlag, Klett-Cotta 2014, 19,95 Euro.
»Liebe Eltern!
Ich schicke Euch gleichzeitig einen Brief, den ich heut Abend der Gulaschkanone mitgeben werde. Hoffentlich wird sie nicht zerballert«, schreibt der 19jährige Kriegsfreiwillige Ernst Jünger in seinem wohl ersten Brief von der Front an seine Eltern.
Klett-Cotta, der Verlag dieses Jahrhundertautoren, veröffentlicht nun die Feldpostbriefe. Es sind dies die erhaltenen Briefe, Postkarten und Telegramme, die der spätere Schriftsteller aus dem Kriegseinsatz verschickte. Die meisten Antwortschreiben der Eltern gelten als verschollen. Das gilt bedauerlicherweise auch für die Briefe seines jüngeren Bruders Friedrich Georg. Bis auf einen Brief und eine Postkarte sind heute nur maschinenschriftliche Auszüge erhalten. Der Bruder war sein Leben lang der erste und wichtigste Gesprächspartner für Ernst Jünger.
Auch von der Front des Schützengrabens vertraute er ihm wesentlich mehr an als den Eltern. Gegenüber dem Bruder spricht er auch von seinen Liebschaften oder seinen Eindrücken oder – seltener – Ängsten in diesem infernalischen Vernichtungskrieg. Bei den Eltern bleibt Ernst Jünger in einem super coolen, teils militärisch-schnoddrigen Tonfall. So als wolle er mit aller Gewalt beweisen, was für ein todesmutiger Held er ist. Der Vater war durch Bergbau zu Reichtum gelangt und konnte mit Mitte 40 aus dem Berufsleben aussteigen und seinen Spleens frönen. Neben dem Schachspiel war dies die Militärgeschichte. Insbesondere den Krieg gegen die Franzosen 1870/ 71 stellte er gern detailliert mit Zinnsoldaten nach und kannte den Verlauf der Schlachten auswendig.
Daher verwundert es nicht, wenn der Sohn Ernst, der über die gesamte Laufbahn ein miserabler Schüler war, seinem strengen Vater imponieren wollte. Erst kurz bevor sich Ernst freiwillig zum Kriegseinsatz meldete, hatte der Vater den Abenteurer aus der Fremdenlegion freigekauft. Ernst Jünger war zur Legion geflüchtet und hatte bereits nach vier Wochen genug von dem Drill, war geflohen und wurde erwischt. Der Vater ließ seine diplomatischen Kontakte und ein wenig Geld spielen und holte seinen unternehmungslustigen ältesten Sohn zurück.
Ernst schreibt in seinen Briefen an die Eltern vor allem von den eigenen Heldentaten. Daneben lässt er – wie beiläufig – einfließen, was er noch benötigt oder gern hätte, damit ihm der unkomfortable Frontaufenthalt ein wenig versüßt würde: »Schickt mir bitte ein paar Hosenträger und eine felsgraue Halsbinde. Auch Patentknöpfe und ein paar gute Zigarren. Bei meinen Kameraden kommen auch manchmal Büchsen mit Sülzfleisch u. A. an, die sehr gut schmecken«, lautet ein deutlicher Hinweis auf das, was dem jungen Krieger gefallen würde.
Der kleine Band mit der Feldpost Ernst Jüngers ergänzt die in den vergangenen Jahren erschienen Bände Kriegstagebuch 1914 – 1918, das die Original-Aufzeichnungen Jüngers enthält und die Historisch-kritische Ausgabe der Stahlgewitter. Nun kann der Leser en detail vergleichen, wie Jünger die Ereignisse für die verschiedenen Adressaten beschrieben hat.