Proustiana XXVII/ XXVII. Mittelungen der Marcel Proust Gesellschaft, hrsg. von Reiner Speck u.a. Insel Verlag, Berlin 2013, 283 Seiten, Ppb., 19,95 Euro.
Einen dritten Brief von Marcel Proust an Emmanuel Berl konnte die deutsche Marcel Proust Gesellschaft für die Bibliotheca Proustiana Reiner Speck vor kurzem erwerben. Die Bibliothek enthält die ungeheure Büchersammlung von und über Marcel Proust, die der Kölner Arzt ein Leben lang zusammengetragen hat.
Bislang waren nur zwei Briefe bekannt, die der Autor von Auf der Suche nach der verlorenen Zeit an seinen 21 Jahre jüngeren Landsmann und späteren Schriftsteller-Kollegen geschrieben hat. Nun sind also drei bekannt – aus einer nach Angaben von Berl viel größeren Korrespondenz, die angeblich vernichtet worden ist.
Emmanuel Berl (1892-1976) war ein französischer Schriftsteller, der allerdings in Deutschland weniger bekannt ist. Er wurde in eine großbürgerliche liberale jüdische Familie geboren und schrieb nach einem kurzen Aufenthalt an der Front des Ersten Weltkrieges etwa 20 Bücher. Sie drehen sich alle mehr oder weniger um den Quietismus, einer Weltanschauung, die dazu auffordert, der Mensch solle sein Wollen aufgeben, um zu innerer Gleichmut und damit zu Gott zu kommen. Bei Berls Denkansatz dominierte ein »Sich-Führenlassen von der Gnade«.
Auf Empfehlung einer Förderin besucht der junge Berl den bewunderten Marcel Proust im Frühsommer 1917 in einem Zeitraum von fünf Wochen in seiner Wohnung am Boulevard Haussmann immer wieder. Proust hatte die beiden Bände Guermantes und Sodom und Gomorrha von À la recherche du temps predu noch zu schreiben. Die beiden hatten sich scheinbar viel zu sagen. Jedenfalls schrieb Berl später, Proust habe ihm lange Vorträge über die Liebe gehalten. Selbstbewusst erzählte er über die Treffen: »Was Proust mir […] auf diesem Gebiet so ausgezeichnet erläutern sollte, wusste ich bereits mit fünfzehn, ja mit zehn Jahren.«
Anzunehmen ist, dass Berl sich vom Stil des Marcel Proust beeinflussen ließ. Berl war ein Meister des Spiels: Er spielte mit den Frauen, mit den politischen Richtungen – der Philosophie überhaupt. In seinem Buch Pariser Köpfe berichtete Walter Benjamin von seiner Begegnung mit dem Franzosen: »Ich bin zu Berl gegangen und habe aus einem zweistündigen Gespräch einen ziemlich deutlichen Eindruck von der Denk- und Seinsweise des Mannes mit nach Hause genommen. Ich versicherte ihn der Bedeutung, die seine Schriften auch für die Avantgarde der deutschen Intelligenz besitze und merkte, dass er zu den Menschen gehört, die nur auf ihr Lieblingsthema gebracht sein wollen, um dann, ohne viel Unterbrechung zu dulden, was sie zu sagen haben, memorieren.«
Es war exakt dieses Monologisieren, dass Berl an Proust kritisierte. Das Verhältnis zwischen Proust und Berl ist das Highlight der neuesten Proustiana XXVII/ XXVIII, wie sich die Mitteilungen der Marcel Proust Gesellschaft nennen. Auch der erste überlieferte Brief aus dem Jahr 1916 von Proust an Berl ist in dem Band enthalten, – in einer Neuübersetzung von Jürgen Ritte.