Die Kunsthalle Marcel Duchamp zu Gast vor der Mathildenhöhe Darmstadt
© Gregor Schuster, Institut Mathildenhöhe Darmstadt 2013
La broyeuse de chocolat – 1913 appartenant á Marcel Duchamp.
Ausstellung der Kunsthalle Marcel Duchamp auf dem Freigelände vor der Mathildenhöhe Darmstadt bis 3. November 2013.
Katalog hrsg. von Caroline Bachmann, Stefan Banz und Ralf Beil, Verlag für Moderne Kunst, Nürnberg 2013, 306 Seiten, geb. in braunes Leinen, 20 Euro.
Hier treffen gleich mehrere Kunst-Highlights zusammen: 1. Das kleinste Museum der Welt zu Gast auf der renommierten Mathildenhöhe Darmstadt und damit zum ersten Mal an anderem Ort (2.), präsentiert 3. aus Anlass des 100. Geburtstags von Marcel Duchamps (4.) Bild Broyeuse de chocolat n°1 (Schokoladenreibe Nr. 1) die gleichnamige Themenausstellung. Die Ausstellung wird – 5. – begleitet von einem wundervollen Katalog.
Nun der Reihe nach.
Die Kunsthalle Marcel Duchamp ist das kleinste Museum der Welt. Allein aus diesem Grund wäre sie schon sehenswert genug. Darüber hinaus atmet sie den Geist von Marcel Duchamp, dem sie gewidmet ist. Auf den ersten Blick erinnert sie an ein Vogelhäuschen: Ein Metallkasten mit einem Raum von einem halben Kubikmeter, mit mehreren Sehschlitzen, also Einblick-Möglichkeiten. Dieser Kasten steht auf einem knapp einen Meter hohen Pfosten.
Innenansicht in die Kunsthalle Marcel Duchamp
© Gregor Schuster, Institut Mathildenhöhe Darmstadt 2013
Normalerweise steht die Kunsthalle Marcel Duchamp im schweizerischen Cully am Genfer See. Aus gleich mehreren Anlässen residiert sie nun den gesamten Sommer 2013 vor der Mathildenhöhe Darmstadt, die wegen einer Sanierung in dieser Zeit geschlossen ist.
Vor genau hundert Jahren schuf Marcel Duchamp das Bild Broyeuse de chocolat n°1. Eine braune, walzenartige Schokoladenreibe, die montiert ist auf einem runden Tisch im Stile der Möbel von Louis XV. Unter dem Tisch befindet sich eine beigefarbene Fläche, die wirkt, als wäre Flüssigkeit ausgelaufen. Der Hintergrund des Gemäldes ist dunkel gehalten, ein Braunton, der beinahe schwarz wirkt.
Bislang sind die verschiedenen Varianten von Duchamps Schokoladenreiben mehr oder weniger als Vorstudien von Le grand verre (Das Große Glas), 1915-23 gedeutet worden, in das eine Reibe integriert ist. Diese Ausstellung und der Katalog weisen in eine andere Richtung: Sie verdeutlichen, dass die Schokoladenreiben einen Anfang in einer bestimmten Entwicklung bei Duchamp markieren. Das machen die verschiedenen Beiträge in dem kleinen, wohlfeilen Katalog überaus deutlich. Marcel Duchamp selbst hat wiederholt darauf hingewiesen, wie sehr er von seiner ersten Begegnung mit einer Schokoladenreibe fasziniert war:
»Ich ging […] umgehend zu einer anderen Formel über, der Formel der ‚Schokoladenreibe‘. Ich war in Rouen, und eines der Geschäfte zeigte durchs Glas eine echte, originale, Schokoladenreibe, die der Hersteller ins Fenster gestellt hatte. Sie amüsierte mich so sehr, dass ich sie zum Ausgangspunkt machte.«
Zum Ausgangspunkt wovon? Duchamp fing an, die Beziehung zwischen Kunst und Industrie grundsätzlich zu hinterfragen. Er selbst mied fortan möglichst den Kontakt zur zeitgenössischen Malerei. Seine späteren Ready Mades sind Versuche, eingefahrene Seh- und Konsumgewohnheiten radikal zu brechen. – Auch dies ist in Broyeuse de chocolat n°1 bereits angelegt.
Blick ins Innere der winzigen Kunsthalle
© Gregor Schuster, Institut Mathildenhöhe Darmstadt 2013
Die beiden Schweizer Künstler und Initiatoren der Kunsthalle, Caroline Bachmann und Stefan Banz, präsentieren eine Gruppenausstellung mit neun Künstlern aus fünf Ländern. Neben Marcel Duchamp sind Meret Oppenheim, Joseph Beuys und andere bedeutende Künstler vertreten. Alle im Miniaturformat, in Zentimetergröße. Der wunderschöne, kleinformatige Katalog aus dem Verlag für moderne Kunst ist nur in seinem Format klein: Inhalt wie Gestaltung sind großartig und lassen das Büchlein auf lange Zeit auch einen grundlegenden Einstieg zum Werk und Denken von Marcel Duchamp sein.