Henry van de Velde – 150. Geburtstag

Henry van de Velde (1863-1957). Portrait von Nicola Perscheid, 1904

 

 

Zum 150. Geburtstag des flämischen Designers und Architekten Henry van de Velde stellen wir das Jahrbuch der Klassik Stiftung Weimar 2013 vor, das die große Ausstellung Leidenschaft, Funktion und Schönheit wissenschaftlich begleitet.

Prophet des Neuen Stil. Der Architekt und Designer Henry van de Velde. Jahrbuch der Klassik Stiftung Weimar 2013. Hrsg. von Hellmut Seemann und Thorsten Volk, 384 Seiten mit über 100 Abbildungen, Wallstein Verlag 2013, 25 Euro.

 

Der belgische Architekt und Designer Henry van de Velde (1863-1957) teilt das Schicksal vieler genialischer Geister: Obwohl er die Gestaltung revolutionierte und Generationen nach ihm anregte, kennt man ihn heute kaum noch. Das Van de Velde Jahr 2013 in Thüringen und Sachsen möchte dies ändern. Es wird begleitet von einem wissenschaftlichen Sammelband, zugleich Jahrbuch der Klassik Stiftung Weimar: Prophet des Neuen Stil – Der Architekt und Designer Henry van de Velde.

Nach langwierigen diplomatischen Vorbereitungen wurde Harry Graf Kessler 1902 zum ehrenamtlichen Vorsitzenden des Kuratoriums des Museums für Kunst und Kunstgewerbe in Weimar berufen. Der gebildete und extrem gut vernetzte Adlige plante Riesiges: Er wollte in der Stadt Goethes und Nietzsches die europäische Moderne verankern – und damit das kulturell verschlafene Land erwecken und auf eine andere ästhetische Ebene heben.

Da kam Kessler der Belgier gerade recht. Er machte den mutigen und konsequenten Designer und Allroundkünstler mit Elisabeth Förster bekannt, der herrschsüchtigen Schwester von Friedrich Nietzsche. Kessler und sie hatten ein gemeinsames Ziel: aus Weimar eine Nietzsche-Stadt zu machen. Doch sollte sich bald zeigen, dass ihre Vorstellungen zu verschieden waren. Immerhin konnte van de Velde das Nietzsche-Archiv entwerfen. Außerdem setzte er in Deutschland bleibende Zeichen mit der Villa Esche in Chemnitz oder der Kunstgewerbeschule in Weimar. Der Erste Weltkrieg führte schnell zum jähen Ende. Nachdem Kessler schon vorher entnervt aufgegeben hatte, um sich größeren Aufgaben zu widmen, verließ der Belgier 1915 isoliert Weimar.

So scheint es mehr als angebracht, dass die Klassik Stiftung Weimar dem Design-Revolutionär ihr diesjähriges Jahrbuch widmet. In 16 wissenschaftlichen Aufsätzen spiegelt es den Forschungsstand und vermittelt Facetten der Motive und Wirkungen eines Mannes, dessen Anspruch nichts Geringeres war, als ein Gesamtkunstwerk zu schaffen. Was heute eher belanglos klingen mag, bedeutete um 1900 immens viel. Immerhin wollte van de Velde eine ästhetische Einheit schaffen, die einem Ideal glich: Er beschränkte sich dabei nicht auf die äußere Architektur des Hauses, die mit seinem Inneren harmonieren sollte. Sein Perfektionismus sparte kaum ein Detail aus: Von der Kücheneinrichtung bis zum Salzstreuer. Später machte man sich darüber lustig, dass selbst seine Frau für Photos passend zur Einrichtung angezogen sein musste.

Wie ungeheuer modern er allerdings war, zeigt der Beitrag über den Japonismus van de Veldes von Gabriel P. Weisberg. Auch wenn der Japan-Hype in den 1880erJahren auf seinem Höhepunkt war, hat er nicht bei vielen Künstlern so langfristig nachgewirkt wie bei dem jungen Belgier, wie Photos von Einrichtungen in dem Buch belegen. Andere Beiträge befassen sich mit van de Veldes Verhältnis zum Bauhaus, das alles andere als unproblematisch war, mit seiner Interpretation der Philosophie Nietzsches und mit seinen Anfängen als Maler.

Henry van de Veldes Selbstverständnis als Architekt wird ebenso problematisiert wie seine Motivation zur Architektur. Doch war er noch viel mehr: Van de Velde war auch Kunstsammler und -vermittler.

Dieses Jahrbuch ist eine unerschöpfliche Fundgrube für alle, die vor oder nach dem Besuch einer Ausstellung van de Veldes mehr wissen wollen, wozu auch die zahlreichen Literaturhinweise hilfreich sind.