Eine der Karteikarten aus der Sammlung Ernst Jüngers von letzten Worten Sterbender
© Klett-Cotta 2013
Heute beginnt der DANDY-CLUB mit einem Vorabdruck aus dem Buch Letzte Worte von Ernst Jünger, das am 23. April 2013 bei Klett-Cotta erscheinen wird. In loser Folge werden wir Auszüge publizieren der Sammlung von Letzten Worten Sterbender, die der Schriftsteller über Jahrzehnte sammelte. Den geplanten Text über die zusammengetragenen Sätze hat der Schriftsteller zwar am 8. Februar 1961 begonnen, jedoch nie fertig gestellt.
Wir beginnen unseren Vorabdruck mit dem zweiten Teil dieses Fragments, das in dem in drei Wochen erscheinenden Buch die Einleitung bilden wird.
Das Letzte Wort hat anekdotischen Charakter; es ist weniger eine Überlieferung als eine Kennzeichnung. Mit einiger Einschränkung dürfen wir sagen, daß es verliehen wird. Andererseits wird es nicht frei erfunden sein. Es wird in einer notwendigen Beziehung zu seinem Mann stehen und damit auf eine Schicht weisen, in der die Dinge sowohl ominös wie numinos werden. Dort hören die Umstehenden, gleich den Evangelisten, Verschiedenes.
Immerhin gehört guter Glaube zur Wiedergabe von Letzten Worten; die offensichtlich erfundenen scheiden aus. Zu ihnen zählen solche, in denen der Vorteil der Hinterbliebenen allzu spürbar wird. (Nach dem Tode des neugriechischen Dichters <unleserlich> erhoffte ein anderer poet, Sikilianos, dem berühmten Verstorbenen in Rang und Ehren nachfolgen zu können.) Ebenso würden Worte das Konzept durchbrechen, wie sie der Dichter seinen Helden in den Mund legt, obwohl sie oft von großer Schönheit sind. Zu ihnen gehört jens »Ich denke einen langen Schlaf zu tun;/Denn dieser letzten Tage Qual war groß.« von Schillers Wallenstein. Das Dichterwort hat sich mit der historischen Person verwoben, doch bleibt auch im Drama offen, ob es wirklich das letzte ist. Der Mord wird ausgespart. »Dumpfe Stimmen – Wafengetöse – dann plötzlich tiefe Stille.«
Endlich sollte man sich das Letzte Wort auch als gesprochenes vorstellen und nicht als geschriebenes. Von den Abschiedsbriefen gilt in erhöhtem Maße, was vom Abschiedswort zur festgesetzten Stunde gesagt wurde. Je stärker und ungebrochener das Bewußtsein, desto fragwürdiger, dürftiger wird, was der Gedanke und was die Sprache der Majestät des Todes entgegenzusetzen hat. Freilich ist das geschriebene Wort das eigentlich authentische. Daß es schwächer wirkt als das in Todesnot frei in die Luft gesprochene, erklärt sich daraus, daß die Absicht vorwiegt; und mit ihr, durch sie, die Personalität. Da wir uns indessen den letzten Staduien der menschlichen Bahn nähern, in denen die Personalität erlischt, wird das Unbeabsichtigte glaubwürdiger. Aus ihm wird Gemeinsames vernehmbar; Gemeinsamkeit des Leidens und der Liebe, des Schicksals und seinr Macht. Was das Licht des irdischen Tages trennt und vereinzelt, uns verbindet sie heilige Nacht. »Die Lieb ist frei gegeben,/Und keine Trennung mehr.«
Ernst Jünger hielt Ideen zu möglichen Einteilungen der letzten Worte auf den Karteikarten fest
© Klett-Cotta 2013
Es liegt in der Eigenart des Themas, daß es den auf historische Genauigkeit gerichteten Geist nicht befriedigen kann. So kommt es zu Urteilen wie jenem, das W. L. Hertslet in der Einleitung zu seinem Buche »Der Treppenwitz der Weltgeschichte« fällt: »Wie in früheren Zeiten bei der Geburt bedeutender Menschen Lichterscheinungen und anderer dergleichen Unfug an der Mode waren, so hat man später dem scheidenden Helden sehr häufig ein letztes bedeutendes, seinem Leben gleichsam als Motto dienendes Wort in den Mund gelegt un dfür einen theatralisch packenden Abgang gesorgt. Gegen diese Ausrufe Sterbender, es sei denn, sie seien ganz besonders trivial und nichtssagend, muß man vor allem vorsichtig sein; fast keiner kann vor der Kritik bestehen.«
Wie viele positivistische Urteile, so stimmt auch dieses nur in der Mitte, sonst aber weder vorn noch hinten; es gilt im sichtbaren ausschnitt, doch weder für den Ursprung noch für den Abschluß unserer Bahn. Wo nach dem schönen Wortvon Léon Bloydas Leben in die Substanz der Geschichte eingeht, genügt Genauigkeit nicht mehr. Sie dient als Mittel unter Mittelnauf dem historischen Wegeund wird vor seinem Ende wie ein Wanderstab beiseite gestellt.
Wo die Geschichte endet, hat der Mensch seit jeher das Wortnicht als Bezeichnung, sondern als Zeichen verwandt, nicht als geprägte Münze, für die er Renten eintauscht, sondern als Symbol, als Hinweis der Sprache auf Unaussprechliches. In diesem Sinne verliert es an Exaktheit, es wird mehr- und vieldeutig.
Trotz aller Kritik an der Überlieferung ist zu vermuten, daß sich unter der Wirrnis an Letzten Worten ein Fundus verbirgt. Wer sich länger mit dem Thema beschäftigt, beginnt Gesetzmäßiges wahrzunehmen. Wiederholungen, Übereinstimmungen, Stilformen. Aus ihnen wiederum lassen sich Schlüsse auf Gemeinsamkeiten der Charaltere, der Stimmung, der Lage ableiten. Es versteht sich, daß dabei Behutsamkeit geboten ist.
Die Beschäftigung mit einer großen Menge selbst scheinbar unbedeutender Aussprüche kann dennoch Gewinn bringen – etwa indem sie die Augen schärft. Das gilt für fast ale Sammlungen. Die große Zahl, die einerseits nivelliert, läßt andererseits nicht nur das Besondere, sondern auch allgemein Gültige schärfer hervortreten. Auf der grauen Fläche des Meeres erkennt das Auge <nicht> nur <den> Angler in seinem Boote wie gestochen, sondern auch die feine Rippung, in der sich die Strömung abzeichnet.
Die Ähnlichkeit und oft auch die Identität der Letzten Worte.
Hier bricht die Niederschrift ab.