Friedrich Nietzsche – Lernt mich gut lesen!

Du sollst der werden, der Du bist. – Friedrich Nietzsche

 

 

Friedrich Nietzsche, Lernt mich gut lesen! – Hrsg. von Rüdiger Schmidt-Grépály. L.S.D. Verlag 2012, 213 Seiten, geb. in Leinen mit Leseband, 16 Euro.

 

Wir beginnen unsere Buchvorstellung einmal anders. Mit einem Rätsel. Von wem sind die folgenden  frechen Sätze?

 

– Und warum sollte ich nicht bis ans Ende gehen? Ich liebe es, reinen Tisch zu machen. Es gehört selbst zu meinem Ehrgeiz, als Verächter der Deutschen par excellence zu gelten. Mein M i s s t r a u e n  gegen den deutschen Charakter habe ich schon mit sechsundzwanzig Jahren ausgedrückt (…) – die Deutschen sind für mich unmöglich. Wenn ich mir eine Art Mensch ausdenke, die allen meinen Instinkten zuwiderläuft, so wird immer ein Deutscher daraus. Das Erste, worauf hin ich mir einen Menschen ‚nierenprüfe‘, ist, ob er ein Gefühl für Distanz am Leibe hat, ob er überall Rang, Grad, Ordnung zwischen Mensch und Mensch sieht, ob er  d i s t i n g u i r t  : damit ist man gentilhomme (…)


Noch ein paar Hinweise: Der Autor schätzt Stendhal, den er als »tiefen Psychologen« rühmt. Richtig, das tun Marcel Proust und Ernst Jünger auch. Hier jedoch geht’s um Friedrich Nietzsche, den alten Pulverkopp (Ernst Jünger). Der bedeutende Philosoph, wohl der wichtigste des 19. Jahrhunderts überhaupt, ist seinen Lesern allerdings leider bekannt durch Schriften, die niemals in seinem Sinne erschienen. Elisabeth-Förster Nietzsche, seine Schwester und Nachlassverwalterin, fühlte sich berufen, das Gesamtwerk nach eigenem Gutdünken zu publizieren. Da wurde gestrichen, zensiert und die Reihenfolge verändert, wie sie es für richtig hielt. Nachfolgende Werkausgaben, insbesondere die vielgerühmte der beiden Italiener Colli und Montinari, suchten diese Fehler zu korrigieren. Doch ein Manko haben auch die bisher besten Ausgaben: Sie alle entsprechen nicht dem Willen Nietzsches, der klar ein Werk letzter Hand hinterlassen hat. Keinem Geringeren als Karl Lagerfeld ist es nun zu verdanken, dass demnächst eben diese Ausgabe erscheinen wird. Und nicht nur wird sie die von Nietzsche zur Veröffentlichung bestimmten Texte in ihren jeweiligen, letzten Fassungen enthalten und in der entsprechenden Reihenfolge. Darüber hinaus wird sie die Original-Manuskripte jedem Band in einer Kassette beifügen.

 

Als Apetizer ist nun Friedrich Nietzsche – Lernt mich gut lesen!, herausgegeben vom Leiter des Kollegs Friedrich Nietzsche der Klassik Stiftung Weimar, Rüdiger Schmidt-Grépály, erschienen. Der bibliophile Band enthält Aphorismen, Essays, Selbstkritik und Entstehungsschilderungen von Nietzsche, die seinem Denkweg folgen, wie der Herausgeber in seiner Vorbemerkung schreibt. Er betont, dass diese Texte, wie alle der demnächst erscheinenden Werke Nietzsches letzter Hand vom Autoren selbst entweder zu Lebzeiten publiziert worden sind oder in Turin, seiner letzten bewussten Lebensstation, für druckfertig erklärt. Dies Buch ist also quasi eine Art Reader; es eignet sich als Einführung ins Werk und Denken des radikalen Philosophen ebenso wie auch für jemanden, der sich vor vielen Jahren mit ihm befasst hat – als eine profunde Wieder-Begegnung. Besser, als viele Einführungen, die auf dem Markt sind. Geeignet ist das Buch auch für alle, die ihre Scheu vor Nietzsche oder der Philosophie allgemein verlieren wollen. Nietzsche schreibt absolut verständlich über den Autor, über gute und schlechte Bücher, über die Leser, die er sich wünscht und die, welche fernbleiben können. Der Band zeigt auch, dass der Denker Humor hatte und stets mit einem Augenzwinkern schrieb. Das ist heute nicht mehr allgemein bekannt. Und nicht zuletzt dies macht ihn so lesenswert. Doch was nützt die beste Rezension. Nietzsche selbst wusste es am treffendsten zu formulieren:

 

Ohr und Herz und Unterkunft!
Glaubt mir, Freunde, nicht zum Fluche
Ward mir meine Unvernunft!
Was i c h  finde, was i c h  suche -,
Stand das je in einem Buche?
Ehrt in mir die Narren-Zunft!
Lernt aus diesem Narrenbuche,
Wie Vernunft kommt – „zur Vernunft“!
Also, Freunde, soll’s geschehn? –
Amen! Und auf Wiedersehn!

 

Friedrich Nietzsche (1844 – 1900)