Ernst Jünger und Carl Schmitt auf dem Lac Rambouillet am 19. Oktober 1941
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Ernst Jünger – Carl Schmitt, Briefe 1930 – 1983. Neuausgabe 2012. Herausgegeben, kommentiert und mit einem Nachwort von Helmut Kiesel, Verlag Klett-Cotta, Stuttgart, 940 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag und Leseband, Euro 62.
Als im Jahr 1999 der Briefwechsel zwischen Ernst Jünger und Carl Schmitt erschien, war das eine literarische Sensation. Auch wenn viele große Medien noch im ideologischen Denken verharrten, wie der Spiegel, der vom »Duell der Orakel« spottete, wurde das 900-seitige Buch von Intellektuellen begierig aufgenommen. Zu aufschlussreich sind die geistigen Bälle, die sich die beiden Denker und Schriftsteller gegenseitig zuwerfen. Sie geben sich Hinweise auf Bücher, tauschen hintersinnig Zitate aus und erweitern zeitweise in emphatischen Empfehlungen ihre Bekanntenkreise.
Aber der vom Heidelberger Literatur-Professor Helmuth Kiesel herausgegebene Korrespondenz-Band hatte eine profunde Schwäche: Der Kommentar-Teil umfasste zwar in der ersten Auflage bereits knapp 400 Seiten, war jedoch inhaltlich an vielen Stellen unsauber und sogar fehlerhaft. Zudem hat sich aufgrund von einer ganzen Reihe von Forschungsarbeiten und anderen Veröffentlichungen die Quellenlage innerhalb der vergangenen 13 Jahre deutlich verändert. War zu Lebzeiten Ernst Jüngers noch der Briefwechsel zwischen ihm und dem Maler Rudolf Schlichter erschienen (1997), so wurde seit dem Tod Ernst Jüngers am 17. Februar 1998 über ein halbes Dutzend Korrespondenzen publiziert. Ebenfalls an die tausend Seiten stark ist der Briefwechsel mit Gerhard Nebel (2003). 2006 erschien der Briefwechsel mit Gottfried Benn, 2007 die Korrespondenz zwischen Ernst Jünger und Stefan Andres, 2008 die mit Martin Heidegger. Waren sie alle in Jüngers Verlag Klett-Cotta erschienen, so folgten in den nächsten Jahren Briefwechsel mit Personen, die dem großen Solitär nicht so nahe standen in anderen Verlagen. 2008 publizierte ein kleiner Berliner Verlag die Korrespondenz mit der Publizistin Margret Boveri, 2010 erschien diejenige mit dem lange unterschätzten Photographen Albert Renger-Patzsch. Für Furore sorgte wiederum die Veröffentlichung des Austausches zwischen Jünger und Dolf Sternberger in Sinn und Form vor einem Jahr.
Doch zurück zu EJ und CS, wie beide von Eingeweihten genannt werden. Sie lernten sich auf Anregung eines gemeinsamen Freundes, des Philosophen Hugo Fischer 1930 in Berlin kennen. Jünger hatte den zwei Jahre jüngeren Fischer 1925 kennengelernt und sich mit ihm angefreundet: Fischer, der 1926 über Hegels Methode habilitierte, wurde nicht nur Jüngers philosophischer Anreger, sondern auch zum bevorzugten Reisebegleiter. In den 1930er Jahren entwickelte sich dann schnell eine intensive Beziehung zwischen dem Kriegsschriftsteller Ernst Jünger und dem Staatsrechtler Schmitt. Ähnlich war ihre politisch-philosophische Sichtweise auf die Zeit-Verhältnisse. Ihr unterschiedlicher Erfahrungshintergrund führte zu einer gegenseitigen intellektuellen Befruchtung, an der der Leser nun teilhaben kann. Der intensive geistige Austausch hatte auch eine private Annäherung zu Folge: Man traf sich mit den Frauen, die sich ebenfalls anfreundeten; Carl Schmitt wurde Patenonkel von dem zweiten Sohn der Jüngers, Alexander.
Nach 1933 distanzierte sich Jünger zunehmend von Schmitt, der sich den Nationalsozialisten bedingungslos zur Verfügung stellte. Dennoch riss der Kontakt während des gesamten Zweiten Weltkriegs nicht ab. Jünger war stets intellektueller Gentleman. Zum offenen Disput kam es 1950, als ihm Jünger schrieb:
»Sie verweisen meine Warnung vom 28. 11. in den taktischen Bereich und mögen damit Recht haben. Ich bin aber auch berechtigt, Ihnen in der Sache Rat zu erteilen; ich habe das angesichts der folgenschwersten Entscheidung Ihres Lebens nachgewiesen (…) Wären Sie aber in der Sache meinem Rat und Beispiel gefolgt, so würden Sie heute vielleicht nicht mehr am Leben sein, aber berechtigt zum Urteil in letzter Instanz über mich. Wäre ich damals Ihrem Rat und Beispiel gefolgt, so würde ich heute gewiss nicht mehr am Leben sein, weder physisch, noch sonst.«
Diese deutliche Distanzierung von Ernst Jünger gegenüber Carl Schmitts Fehlverhalten im Dritten Reich und seinen ausweichenden Ausreden brachten den Angesprochenen noch weiter in Rage. War er sowieso schon neidisch auf den Erfolg, den Jünger nach dem Krieg rasch hatte, so platzte ihm jetzt endgültig der Kragen: »Ist das nicht die Rabulistik eines Ich-verrückten Rechthabers? Nachwirkung seines Mescalin-Experiments?« Doch Carl Schmitt schrieb das nicht dem Gemeinten, sondern hinterließ solche Injurien nur in seinen privaten Notizbüchern, die vor einigen Jahren unter dem Titel »Glossarium« erschienen.
An seinen alten Weggefährten schrieb er nur:
»Capisco et obmutesco« (»Ich begreife und verstumme«).
Die Neuausgabe des Briefwechsels ist umfangreich korrigiert, durch einige Briefe und ein umfangreiches Register von Tobias Wimbauer ergänzt.