Lagerfelds Nietzsche

© Karl Lagerfeld

 


Karl Lagerfeld plant zusammen mit seinem kongenialen Verleger Gerhard Steidl eine bibliophile und ästhetische Sensation: Die Herausfgabe des Gesamtwerkes von Friedrich Nietzsche. Wie das Fashion-Blog WWD meldet, soll die Ausgabe im Herbst 2012 bei Steidl in Göttingen erscheinen und auf 3.000 Exemplare limitiert sein. Sie soll zwölf Bände umfassen und Original-Manuskripte des ‚Pulverkopfes‘ (Ernst Jünger) enthalten.

Wir sind äußerst gespannt und werden weiter informieren!


Friedrich Nietzsche (1844-1900)

 


Friedrich Nietzsche: Was ist vornehm?


– Die Sorgfalt im Äußerlichsten, insofern diese Sorgfalt abgrenzt, fernhält, vor Verwechslung schützt.

– Der frivole Anschein in Wort, Kleidung, Haltung, mit dem eine stoische Härte und Selbstbezwingung sich vor aller unbescheidenen Neugierde schützt.

– Die langsame Gebärde, auch der langsame Blick. Es gibt nicht zu viel wertvolle Dinge: und diese kommen und wollen von selbst zu dem Wertvollen. Wir bewundern schwer.

– Das Ertragen der Armut und der Dürftigkeit, auch der Krankheit.

– Das Ausweichen vor kleinen Ehren, und Mißtrauen gegen jeden, welcher leicht lobt: denn der Lobende glaubt daran, daß er verstehe, was er lobe: verstehen aber – Balzac hat es verraten, dieser typisch Ehrgeizige – comprendre c’est égaler.

– Unser Zweifel an der Mitteilbarkeit des Herzens geht in die Tiefe; die Einsamkeit nicht als gewählt, sondern als gegeben.

– Die Überzeugung, daß man nur gegen seinesgleichen Pflichten hat, gegen die andern sich nach Gutdünken verhält: daß nur inter pares auf Gerechtigkeit zu hoffen (leider noch lange nicht zu rechnen) ist.

– Die Ironie gegen die „Begabten“, der Glaube an den Geburtsadel auch im Sittlichen.

– Immer sich als den fühlen, der Ehren zu vergeben hat: während nicht häufig sich jemand findet, der ihn ehren dürfte.

– Immer verkleidet: je höherer Art, um so mehr bedarf der Mensch des Inkognitos. Gott, wenn es einen gäbe, dürfte, schon aus Anstandsgründen, sich nur als Mensch in der Welt bezeigen.

– Die Fähigkeit zum otium, der unbedingten Überzeugung, daß ein Handwerk in jedem Sinne zwar nicht schändet, aber sicherlich entadelt. Nicht „Fleiß“ im bürgerlichen Sinne, wie hoch wir ihn auch zu ehren und zu Geltung zu bringen wissen, oder wie jene unersättlich gackernden Künstler, die es wie Hühner machen, gackern und Eier legen und wieder gackern.

– Wir beschützen die Künstler und Dichter und wer irgendworin Meister ist: aber als Wesen, die höherer Art sind als diese, welche nur etwas können, als die bloß „produktiven Menschen“, verwechseln wir uns nicht mit ihnen.

– Die Lust an den Formen; das In-Schutz-nehmen alles Förmlichen, die Überzeugung, daß Höflichkeit eine der großen Tugenden ist; das Mißtrauen gegen alle Arten des Sich-gehen-lassens, eingerechnet die Preß- und Denkfreiheit, weil unter ihnen der Geist bequem und tölpelhaft wird und die Glieder streckt.

– Das Wohlgefallen an den Frauen als an einer vielleicht kleineren, aber feineren und leichteren Art von Wesen. Welches Glück, Wesen zu begegnen, die immer Tanz und Torheit und Putz im Kopfe haben! Sie sind das Entzücken aller sehr gespannten und tiefen Mannsseelen gewesen, deren Leben mit großer Verantwortlichkeit beschwert ist.

– Das Wohlgefallen an den Fürsten und Priestern, weil sie den Glauben an eine Verschiedenheit der menschlichen Werte selbst noch in der Abschätzung der Vergangenheit zum mindesten symbolisch und im ganzen und großen sogar tatsächlich aufrechterhalten.

– Das Schweigen-können: aber darüber kein Wort vor Hörern.

– Das Ertragen langer Feindschaften: der Mangel an der leichten Versöhnlichkeit.

– Der Ekel am Demagogischen, an der „Aufklärung“, an der „Gemütlichkeit“, an der pöbelhaften Vertraulichkeit.

– Das Sammeln kostbarer Dinge, die Bedürfnisse einer hohen und wählerischen Seele; nichts gemein haben wollen. Seine Bücher, seine Landschaften.

– Wir lehnen uns gegen schlimme und gute Erfahrungen auf und verallgemeinern nicht so schnell. Der einzelne Fall: wie ironisch sind wir gegen den einzelnen Fall, wenn er den schlechten Geschmack hat, sich als Regel zu gebärden!

– Wir lieben das Naive und die Naiven, aber als Zuschauer und höhere Wesen; wir finden Faust ebenso naiv als sein Gretchen.

– Wir schätzen die Guten gering, als Herdentiere: wir wissen, wie unter den schlimmsten, bösartigsten, härtesten Menschen oft ein unschätzbarer Goldtropfen von Güte sich verborgen hält, welcher alle bloße Gutartigkeit der Milchseelen überwiegt.

– Wir halten einen Menschen unserer Art nicht widerlegt durch seine Laster noch durch seine Torheiten. Wir wissen, daß wir schwer erkennbar sind und daß wir alle Gründe haben, uns Vordergründe zu geben.

 

(Aus den Aufzeichnungen der 1880er Jahre.)