Ernst Jünger – Dolf Sternberger Briefwechsel

Das Musikzimmer des französischen Hotels Georges V



Während seiner Jahre als Offizier im von den Deutschen besetzten Paris lernte Ernst Jünger Dolf Sternberger kennen. Der Journalist war damals Korrespondent für die Frankfurter Zeitung. Beiden wurden zu Teilnehmern der so genannten Georgs-Runde, einem Gesprächskreis des geistigen Widerstands gegen die Nazis. Weiter gehörten dem elitären Kreis an: Hans Speidel, Graf Podewills, Gerhard Nebel und andere.

In der nächsten Ausgabe der Zeitschrift Sinn und Form erscheint der Briefwechsel zwischen Ernst Jünger und Dolf Sternberger. Hier ein Auszug:

Sternberger an Jünger

Frankfurter Zeitung

Frankfurt am Main, 15. 12. 41.

Große Eschenheimer Straße 31-37

Sehr verehrter Herr Jünger,

ich weiß nicht, ob Sie sich noch an das Gespräch erinnern, das wir an jenem Abend bei Frau von Schnitzler miteinander hatten: mir ist es sehr bedeutsam gewesen, und darum habe ich auch manche Einzelheiten noch genau im Sinn. Zum Beispiel eine Bemerkung, die Sie über die Rolle der „gescheiterten Existenzen“ machten. Das Wort wird ja gemeinhin im bürgerlichen Ton gesprochen, als ein Urteil, das Leute »in geordneten Verhältnissen« fällen. Gleichwohl hat es einen objektiven Sinn, bezeichnet ein wirkliches Phänomen, und ich glaube richtig gehört zu haben, dass Sie selbst ein scharf umrissenes Bild dabei vor Augen hatten. Nun ist es merkwürdig, dass zwar nicht die gescheiterte, wohl aber die scheiternde Existenz in einem gewissen modernen philosophischen Sprachgebrauch nicht bloß positiv, sondern geradezu emphatisch vorgeführt wird („Existenzphilosophie“).

Bei so hoher Rechtfertigung braucht sich auch eine tatsächlich gescheiterte Existenz in dieser Welt nicht unwohl zu fühlen, und sie tun es ja auch nicht. Die Figur des Scheiternden hat ihre Naturgeschichte – und mir fiel an jenem Abend, als Sie das Stichwort sprachen, eine Arbeit ein, in der ich vor einigen Jahren versucht hatte, diese Naturgeschichte aufzuhellen. Ich glaube nicht unbescheiden zu sein, wenn ich mutmaße, dass Sie dieser Versuch interessieren könnte, und erlaube mir, Ihnen ein Exemplar zu schicken: vielleicht finden Sie eine Stunde Zeit zur Lektüre und vielleicht können Sie mir gelegentlich eine Zeile darüber schreiben, aus der ich sehen kann, ob meine Mutmaßung richtig gewesen ist.

Darf ich Sie bitten, den Herren vom „George V“ meine Empfehlungen und Grüße zu übermitteln – dem Obersten Speidel, Herrn Grüninger und dem Grafen Podewils. Herr Nebel hat mir sein afrikanisches Büchlein geschickt, das mich sehr fesselt. – Ihnen selbst, verehrter Herr Jünger, die besten Grüße Ihres ergebenen Dolf Sternberger


Jünger an Sternberger

Kirchhorst/über Hannover,

22. XII. 1941

Sehr geehrter Herr Sternberger,

Für die Übersendung Ihrer Studie sage ich Ihnen meinen besten Dank. Ich sende Ihnen das Exemplar, da es Ihr einziges ist, in diesen Tagen zurück. Ich stimme Ihren Ausführungen vollkommen zu: Gewisse Entscheidungen setzen heute die gescheiterte Existenz a priori voraus. Dass diese heute überhaupt die Regel bildet, habe ich nie bezweifelt, und Ihr Aufsatz gibt dazu eine gute Illustration. Gestern sandte ich Ihnen eines der Exemplare des Vorabdruckes meines neuen Buches, das bereits eine interessante Geschichte hinter sich hat. Ich hoffe, dass es verständnisvolle Leser finden wird. Sie erhalten dann noch ein gebundenes Stück.

Ihren Gruß an die Inselrunde des George V werde ich übermitteln; ich fahre am 1. Januar des neuen Jahres dorthin zurück. Auch Ihnen soll ich Grüße bestellen, und zwar von einer sehr intelligenten Frau, mit der ich zuweilen plaudere, nämlich von Mdme. Ravoux, die Sie vielleicht nur unter ihrem Mädchennamen Sophie Koch kennen; sie hat in Heidelberg Medizin studiert. Das Buch von Kusenberg, La Botiglia, von dem ich sprach, erschien im Rowohlt-Verlag.

Mit den besten Wünschen für das Jahr 1942 Ihr Ernst Jünger

Sinn und Form