La Bohème – Der Katalog

Anonym: Der Schauspieler Désiré als Jupiter, der sich in eine Fliege verwandelt hat,
Paris um 1865. Carte-de-Visite, Albuminpapier
© Alle Photos: Museum Ludwig Köln



Bodo von Dewitz (Hg.), La Bohème. Die Inszenierung des Künstlers in Fotografien des 19. und 20. Jahrhunderts. Katalog zur Ausstellung im Museum Ludwig Köln. Steidl Verlag, Göttingen 2010. 399 Seiten, gebunden in Leinen, 58 Euro.



Sartre schrieb in seiner brillanten Studie über Charles Baudelaire:

»Baudelaire manifestiert seine Besonderheit im Rahmen der bestehenden Welt. In einer Regung des Aufruhrs und des Zornes hat er sie zuerst seiner Mutter und seinem Stiefvater entgegengesetzt. Aber es handelt sich eben um Aufruhr, nicht um eine revolutionäre Tat. Der Revolutionär will die Welt ändern; er überholt sie in Richtung auf die Zukunft, in Richtung auf eine Wertskala, die er selbst erfindet. Der Aufrührer aber sorgt dafür, daß die Mißstände, unter denen er zu leiden hat, bestehen bleiben, damit er sich gegen sie auflehnen kann.«

Sartres Untersuchung ist noch heute Maßstab für alles Folgende über Baudelaire, – auch wenn sie bescheiden als ‚Essay‘ daherkommt. Der Existenzialist schreibt weiter:

»Immer trägt er Elemente des schlechten Gewissens und eine Art Schuldgefühl mit sich herum. Er will weder zerstören, noch überwinden, sondern sich gegen die Ordnung wenden. Je mehr er sie angreift, desto mehr achtet er sie insgeheim; die Gesetze, die er öffentlich anficht, bewahrt er tief in seinem Herzen; würden sie verschwinden, so verschwände mit ihnen auch seine Daseinsberechtigung.«





Eugene Durieu, Rückenakt, Paris um 1853, Albuminpapier,18,9 x 13 cm.




Was Sartre hier beschreibt, ist das Grundgesetz der Bohème: Wie groß wäre die Chance, sich von den Philistern absetzen zu können – und mit dieser Absetzbewegung ein Publikum zu erreichen – wenn das viele täten! Im Museum Ludwig Köln eröffnete vor kurzem die Ausstellung La Bohème – Die Inszenierung des Künstlers in Fotografien des 19. und 20. Jahrhunderts. Der Titel stapelt niedrig, ist doch ein großes Verdienst  der Ausstellungsmacher zu sehen in Umfang und Art der Präsentation.

Über den Begriff der Bohème hat jedermann eine Vorstellung, die – im Gegensatz zu dem des Dandys – zumeist so falsch nicht ist. Häufig ist die Definition, wonach der Begriff Bohème eine Subkultur bezeichne, in der intellektuelle Rand- und Künstlergruppen  sich innerhalb der sich industrialisierenden Gesellschaften des 19. und 20. Jahrhunderts sich von diesen absetzen. Durch symbolische Aggression und Aktionen, die ihrem Bekanntheitsgrad nicht schaden.

Bekannt wurde die Bezeichnung ‚Bohème‘ durch das Buch Zigeunerleben – Szenen aus dem Pariser Literaten- und Künstlerleben (deutscher Titel) von Henri Murger. Tatsächlich scheint der Begriff von der Bezeichnung Böhmischer Zigeuner abzustammen. Interessant ist, das Baudelaires Gedicht in den Fleurs du mal ‚Bohèmiens en voyage‘ ins Deutsche übertragen worden ist mit ‚Zigeuner unterwegs‘. Und wirklich handelt es von einer reisenden Wahrsager-Truppe und nicht von urbanen Künstler-Provokateuren.

Bodo von Dewitz, Kurator der Ausstellung, verdeutlicht in der Einführung zum Katalog, wie sehr zwei Faktoren die Entwicklung von ‚Bohème‘ und deren Bekanntwerden bedingten und verstärkten. Der erste Faktor ist die technische Moderne mit ihrem wissenschaftlichen Fortschritt und deren diversen Folgen wie Stadtflucht, Verarmung und Revolutionen. Das zweite bedeutende Faktum ist die in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts aufkommende Photographie. Viele der Bohème zugerechnete Künstler nutzten das neue Medium sofort zu Inszenierung und Selbstdarstellung. Eine anfänglich große Bedeutung hatte der Photograph Nadar, dessen Portraits vieler Pariser Künstler noch heute allgemein bekannt sind.  Nadar hatte sich früh einen Ruf als hervorragender Portrait-Photograph erarbeitet, was dazu führte, dass die Pariser Kunst-Chickeria sich bei ihm die Klinke in die Hand gab. Nadar war jedoch genialisch genug, seine Auftraggeber nur scheinbar im besten Licht  zu dokumentieren. Milan Chlumski schreibt: »Nadar war sehr genau über das Leben der Bohème, der Dandys und Künstler informiert. Seine Meinung zu einer Person schlug sich in den Porträts von ihnen nieder. Man braucht nur sein Porträt des Schriftstellers und Möchtegern-Dandys Champfleury zu betrachten, um zu wissen, was der Fotograf in ihm sah: einen Karrieristen, der auf seinem Weg zu Ruhm und Macht angeblich Balzacs Erbe ausschlachtete.«




Gaspard Félix Tournachon dit Nadar: Nadar mit seiner Frau Ernestine, Paris, um 1865,
Albuminpapier, 9×8 cm, Sammlung Thomas Walther





Alphonse Mucha, Paul Gauguin am Harmonium in Muchas Atelier, Paris, um 1893/94,
Silbergelatine, 24 x 18 cm, Mucha Foundation, Prag





Infos zur Ausstellung:
http://dandy-club.blogspot.com/2010/10/la-boheme-im-museum-ludwig-koln.html

Zur Ausstellung:
http://www.museenkoeln.de/museum-ludwig/default.asp?s=3140

Zum Buch:
http://www.steidl.de/pages/de/buecher/6011-la-boheme.html

3 Kommentare

1 Ping

    • Sari auf 3. November 2010 bei 13:29

    Stimmt! In die Ausstellung wollte ich ja auch noch gehen, Danke fürs dran erinnern!!! 🙂

    • gsohn auf 9. November 2010 bei 15:00

    Diese Ausstellung werde ich mir auf jeden Fall ansehen. Alleine der Katalog des Steidl-Verlages ist eine Augenweide. Funktioniert eigentlich Deine alte E-Mail-Adresse nicht mehr.
    Gruß
    Gunni

  1. Hello! gkgdaea interesting gkgdaea site!

  1. […] La Bohème Bodo von Dewitz (Hg.), La Bohème. Die Inszenierung des Künstlers in Fotografien des 19. und 20. Jahrhunderts. Katalog zur Ausstellung im Museum Ludwig Köln. Steidl Verlag, Göttingen 2010. 399 Seiten, gebunden in Leinen, 58 Euro. […]

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