Das Portraitphoto als Marketing

Felix Nadar, Charles Baudelaire (um 1856)


In seiner umfangreichen Studie untersucht 
Matthias Bickenbach
Das Autorenfoto in der Medienrevolution. Wilehlem Fink Verlag, München 2010, 430 Seiten mit zahlrechen Abbildungen, 49,90 Euro.

Um 1842 existierte noch kein allgemein bekanntes Bild vom Schriftsteller Charles Baudelaire. Die Photographie war gerade erst erfunden worden und steckte noch in den Kinderschuhen. Das Bild, was man in Paris von Baudelaire hatte, ergab sich aus seinen Dichtungen, durch Gerüchte und Erzählungen.

Sein späterer Freund, der Photograph Felix Nadar, beschrieb viele Jahre später die erste Begegnung mit dem legendenumwitterten Bohèmien: »Plötzlich stockte unser Gespräch beim Anblick einer seltsamen, geisterhaften Gestalt. (…) Wir sahen einen jungen Mann von mittlerer Größe und guter Figur, bis auf einen rotbraunen Schal, ganz in Schwarz. Sein Rock war tadellos geschnitten, mit einem enormen Schalkragen, aus dem sich der Kopf erhob wie ein Bukett aus seiner Umhüllung (…) In seiner Hand, die in einem hellrosafarbenen – ich wiederhole: hellrosafarbenen – Handschuh steckte, trug er den Hut, der die Überfülle des gelockten, tiefschwarzen Haares, das ihm auf die Schulter fiel, entbehrlich machte – eine Mähne wie ein Wasserfall. So sollten wir ihm also begegnen, dieser sehnlich erwarteten Gestalt, dieser erhabensten Attraktion.«

Die Anwesenden waren nicht nur über die Erscheinung Baudelaires als solcher verwundert. Vielmehr setzte sie der Unterschied in Erstaunen zu dem Ruf, den der Dichter hatte: Aufgrund seiner provokanten Texte erwartete man einen ungepflegten, übel riechenden und heruntergekommenen Mann außerhalb der Gesellschaft.

Matthias Bickenbach untersucht in seiner detaillierten Studie Das Autorenfoto in der Medienrevolution – Anachronie einer Norm das Autorenfoto nur als Beispiel. Er will die allgemeine Ansicht in Frage stellen, die Photographie als Medium hätte eine Revolution zur Folge gehabt. Eine Revolution vor allem in der Wahrnehmung und der Betrachtung von Bildern. Seine Habilitationsschrift nutzt das Autorenphoto, um die These zu belegen, die heute allgemeingültige Annahme von der Revolution jeweils neuer Medien sei in Wahrheit stets eine Evolution.

Das Beispiel Baudelaires ist deshalb so interessant wie aufschlussreich, weil der die Photographie tiefgründig nutzte und in sein Gesamtkunstwerk einbaute. Zu diesem Gesamtkunstwerk gehörten über seine Dichtung hinaus auch sein Auftreten und seine Vermarktung. Baudelaire gilt heute unbestritten als einer der größten Erneuerer der Literatur im 19. Jahrhundert. Sein Rang liegt wohl über dem von Balzac oder Hugo. Zu Lebzeiten war er allerdings finanziell nicht sonderlich erfolgreich. So nutzte er die neu aufkommende Photographie als wichtiges Mittel der Selbstinszenierung. Er ließ von Felix Nadar gleich ganze Serien von Portraitphotos von sich anfertigen und plante sogar, ein Bild als Frontispiz sämtlicher Bücher zu nehmen. Theoretisch lehnte Baudelaire die Photographie ab, weil sie einen falschen Anschein von Objektivität und Bildlichkeit vermittle. Aber genau deshalb wusste er sie auch zu nutzen.


Felix Nadar, Charles Baudelaire (um 1855)



Bickenbach interpretiert das erste heute noch bekannte Photo Nadars: Baudelaire sitzt lässig zurückgelehnt; sein schwarzer langer Mantel betont die Bohème-Zugehörigkeit. Aber vor allem betont der Autor die versteckten Hände Baudelaires: »Indem Baudelaire seien Hände versteckt, entzieht er sie nicht nur der Sichtbarkeit. Die Hand des Dichters ist immerhin selbst das Medium seiner Handschrift und damit ein symbolisches Zeichen, das in der Tradition der Bilder von Gelehrten und Schriftautoritäten fest etabliert ist. Die Geste der ‚Hand in der Hosentasche‘ korrespondiert einer Haltung des Autors im Zeitalter seiner Fotografierbarkeit, die der Autorschaft mit einem visuellen Entzug, dem Entzug der schreibenden Hand verbindet.« Bickenbach interpretiert, Baudelaire präsentiere sich hier bewusst nicht in der bisherigen Pose der Großdichter, sondern antibürgerlich. Die Geste der Hände in den Hosentaschen habe »nicht nur politische und soziale, sondern auch literarische Valenz als Habitus einer Distinktion«


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 Felix Nadar, Charles Baudelaire (1855)



Bickenbachs Untersuchung fragt nach der Rolle des photographischen Portraits literarischer Autoren und damit auch nach ihrer Wirkung, nach ihrem Einsatz durch die Autoren selbst und nach weiteren Implikationen, Folgen und häufig ungeprüften Annahmen. Schon lange vor der Photographie gab es plastische Bildnisse von Autoren. Diese dienten schon vor Jahrhunderten dem gleichen Zweck: Man konnte sich buchstäblich ‚ein Bild machen‘, von dem Autoren, den man las. Folgt man den Ausführungen Bickenbachs, gerät die bisherige, ungeprüfte und unterbewusst als feststehend akzeptierte Annahme der Revolution durch das Aufkommen der Photographie und anderer neuer Medien ins Wanken. Vielmehr erhält der interessierte Leser ein Gefühl für den ewigen evolutionären Prozess. Für Zeitgenossen ergeben sich die Veränderungen stets fließend, sei die Geschwindigkeit auch noch so schnell. Umso größer jedoch der zeitliche Abstand der historischen Betrachtung, desto stärker wird die rückblickende Perzeption als ‚Revolution‘.