© Klaus Puth/ Verlag Galiani Berlin
David Thomson stellte seiner Laurence Sterne-Biographie 1972 Sätze aus Jorge Luis Borges‘ Die Ruinenkreise voran:
»Der Vorsatz, dem er nachstrebte, war nicht unmöglich, wenn auch übernatürlicher Art. Er wollte den Menschen träumend schaffen, er wollte ihn bis in die kleinste Einzelheit erträumen und ihn der Wirklichkeit aufzwingen. Dieses magische Vorhaben hatte allen Raum in seiner Seele verschlungen. Wenn jemand ihn nach seinem Namen oder nach irgendeinem Umstand seines früheren Lebens gefragt hätte, wäre er die Antwort schuldig geblieben.«
IM ZELT GEZEUGT. Laurence Sterne war, schreibt sein Biograph David Thomson, »vielleicht der einzige englische Schriftsteller, der in einem Zelt gezeugt wurde«. Geboren 1713 in der irischen Provinz als Sohn eines Fähnrichs und einer Marketendertochter, verbrachte er einen Teil seiner Kindheit in verschiedenen Garnisonen. Trotz notorischer Faulheit schafft Laurence Sterne sein Studium der Theologie, heiratet und nimmt eine Pfarrstelle an, die er 20 Jahre behalten soll. Sterne war dabei alles andere als ein asketischer Seelsorger und Prediger. Er war exzentrisch, ein totaler Träumer mit einem Hang zum ausschweifenden Lebenswandel. Er war hypochondrisch und ein Selbstdarsteller, dem der Erfolg in der Gesellschaft Lebenselixier war.
STERNE WAR FRANKOPHIL. Sterne reiste mehrmals nach Frankreich, – zuletzt 1765. Zwei Jahre später begann er A Sentimental Journey Through France and Italy. By Mr. Yorick (Eine empfindsame Reise durch Frankreich und Italien. Von Mr. Yorick) zu schreiben. Yorick begibt sich von Calais über Amiens nach Paris und von dort weiter nach Moulins und Lyon, wo die Reisebeschreibung abbricht. Dies war jedoch nicht beabsichtigt. Sterne litt an Tuberkulose; seit spätestens 1761, schreibt sein Biograph Thomson, sei ihm der Ernst seiner Lage bewusst gewesen. 1768 erscheinen die ersten beiden von geplanten vier Bänden der Empfindsamen Reise. Drei Wochen nach Erscheinen des letzten Teiles stirbt Sterne völlig verarmt in einem Londoner Hotel.
EROTOMAN durchwoben ist der gesamte Text. Trifft Yorick eine hübsche Frau, so ergeht er sich in erotischen Anspielungen – und reizt die Dame zu einer Reaktion. Dabei spielt er zugleich gedanklich mit sich selbst; in seinem Kopf kämpfen Engel und Teufel. Laurence Sterne – den vollen Schalk im Nacken – schreibt auch, um aus seiner Seele keine Mördergrube zu machen:
– Allein worin die Versuchung lag, (denn ich schreibe nicht, um die Schwachheiten meines Herzens auf dieser Tour zu rechtfertigen, – sondern um davon zu berichten) – dies soll ebenso schlicht geschildert werden wie ich sie empfand.
Sterne geht es mithin nicht um die Schilderung äußerer Eindrücke und Erlebnisse, – sondern um deren inneres Aufnehmen, deren Spiegelung in der Seele. Joris-Karl Huysmans entwickelt diese Sichtweise aufs Reisen dann 1884 in seinem Dandy-Kultroman À rebours (Gegen den Strich) weiter. Sein décadent, Jean Floressas Duc des Esseintes, muss gar nicht mehr nach England fahren, um England zu erleben. Auf dem Weg zum Bahnhof ersteht er einen Baedeker, sagt seinem Kutscher, er solle ihn zu einem englischen Lokal bringen. Dort gibt er sich dem Portwein hin; denkt an die Figuren, die Dickens beschrieb. Und spart sich die beschwerliche Überfahrt. Empfindung des Herzens.
Buchillustration zu Laurence Sternes Empfindsamer Reise
DAS VERDIENST DIESER NEUAUSGABE ist bei weitem nicht nur die Übersetzung. Dem vielfach ausgezeichneten Michael Walter gelang die Transformation des alten Englisch in ein Deutsch, dass wir heute verstehen und das dennoch ins 18. Jahrhundert weist. Es finden sich in dem Text viele wunderschöne Worte, die heute verloren gelten, verschollen scheinen. Die Sprache wird ständig ärmer; dies Buch holt Wort-Schätze aus der sprachgeschichtlichen Tiefsee, die wir auch heute gut gebrauchen können.
BIBLIOPHILE GESTALTUNG. Beim Verleger Wolfgang Hörner sollte sich das deutsche Feuilleton Termine geben lassen zum Verneigen. Der erste Eindruck des Bandes ist: In hochwertiges tiefrotes Leinen gebunden, auf schwerem Papier gedruckt und dabei flexibel in der Hand, erinnert er an einen Baedeker. Versucht die Übersetzung, »Sterne so sternianisch wie möglich zu präsentieren«, wie es der Verleger in seinem Nachwort formuliert, so versucht der Verleger, das Buch so nah am Original wie nur irgend möglich zu publizieren. Denn auch die Erstausgabe, so erfahren wir, war ähnlich aufgemacht.
Friedrich Nietzsche bezeichnete Laurence Sterne als freiesten aller Schriftsteller. Laurence Sternes neuer deutscher Verleger präsentiert ihn in seinem gewaltigen Ennui, in seiner europäischen Urbanität, in seiner vollen Nonchalance und Provokation.
Für alle deutschen Dandies, Gentlemen, alle echten Damen – und die es werden wollen:
PFLICHTLEKTÜRE!
Eine empfindsame Reise durch Frankreich und Italien. Von Mr. Yorick.
Übersetzt von Michael Walter. Verlag Galiani, Berlin 2010,
340 Seiten, feines Leinen, Halbschuber, Lesebändchen
Euro 24,95 (D) / sFr 37,90 / Euro 25,70 (A).
PS: Nicht vergessen: Heute abend ist eine Lesung mit Gespräch mit Verleger und Übersetzer in Berlin!
http://dandy-club.blogspot.com/2010/08/laurence-sterne-neuubersetzt.html
Literarisches Colloquium Berlin
Am Sandwerder 5
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20.00 Uhr.