115. Geburtstag Ernst Jüngers

Ernst Jünger im Gegenlicht. Cover des intelligenten Sammelbandes



Ernst Jünger wäre heute 115 Jahre alt geworden. Der deutsche Jahrhundert-Schriftsteller wurde am 29. März 1895 in Heidelberg geboren und starb am 17. Februar 1998 in Riedlingen.

Ist ee ein Zufall, dass der Ur-Dandy George Bryan (‚Beau‘) Brummell am 29. März 1840 gestorben ist?

Der DANDY-CLUB rezensiert zum Geburtstag des ‚Dandy im Forsthaus‘ (Nikolaus Sombart) ein Buch, das mittlerweile anderthalb Jahre auf dem Markt ist – aber beachtenswert bleibt:

Alexander Pschera (Hg.): Bunter Staub. Ernst Jünger im Gegenlicht.
Matthes & Seitz Berlin Verlag 2008, 345 S., Euro 19,80.

Alexander Pschera versammelt etwa 30 Autoren um essentielle Begriffe Jüngers wie Abenteuer, Inneres Erlebnis, Waldgang, Verlorener Posten, Rausch, Autorschaft und Schmerz. Neben bereits bekannteren Rezipienten finden sich einige der jüngeren Generation. Sie sorgt für nichts weniger als einen freieren Blick auf das Dandyistische an Jünger. Ein furioses Buch!

ERNST JÜNGERS IRONIE liegt darin, sich in der Bundesrepublik mit politischen Äußerungen zurückgehalten und dennoch für hitzige Debatten den Anlass geliefert zu haben. Seit Gründung des westdeutschen Staates galt er als irgendwie »umstritten«. Befürworter verliehen ihm Preise und holten den Dandy damit kurzfristig aus seinem Forsthaus, tief im Süden der Republik. Aber diese Preisverleihungen, meist von sogenannten Konservativen, hatten eine brüchige Wirkung. Jüngers Gegner schlugen auf Jünger ein und auf die Preisverleiher. Die Preisverleiher hatten nicht viel zu sagen. Sie hatten eigentlich gehofft, sich mit dem großen Doyen der deutschen Literatur schmücken zu können. Doch ihre Selbstverteidigung war nicht phantasievoll. Jünger war zu sehr Ästhet, um für sich selbst Wort zu ergreifen. Die sich anschließenden Debatten waren meist nicht niveauvoll und zeugten nur vom Zustand dieses Landes.

ERNST JÜNGERS HUNDERTSTER GEBURTSTAG markierte einen gewaltigen Einschnitt. Etwas hatte sich geändert. Zwar bestanden die alten Fronten bei den Medien immer noch. Aber selbst die großen Artikel im Spiegel oder im Stern waren nicht frei von einer gewissen Bewunderung, auch wenn sie es nicht zugeben konnten.

DIE NACHRUFE letztlich setzten diesen Weg konsequent fort. Kritik und Häme wichen nun noch stärker einer versuchsweise objektiven Biographie. Die Rezeption Jüngers hatte eine qualitative Veränderung erfahren. Wie beim Wetterwechsel auf einer Mittelmeerinsel, wollte man so recht seinen Augen nicht trauen. Aus Ernst Jünger war nun eine Statue geworden. Ja, es war die genialische Bronze-Büste von Serge Mangin, die die Öffentlichkeit an die Stelle von ihm selbst gesetzt hatte.

DARAN SCHULD waren nicht nur die Freunde von Jüngers Werk. Ist es doch klassische Macht-Taktik, seinen Gegner hochzuloben, um ihn aus der eigenen Umgebung los zu werden, so funktionierte das auch mit diesem Ausnahme-Deutschen. Ist Jünger erst in seinem Anderssein geheiligt, kann die Unibibliothek dessen Bücher getrost ins Magazin verlagern.

Alexander Pschera schuf ein verdienstvolles, ein kluges Buch, das den deutschen Schriftsteller-Dandy des 20. Jahrhunderts entstaubt, wieder entziffert, weiterdenkt. Der 1964 in Heidelberg geborene Pschera hatte eine grandiose Idee: Er bat etwa 30 Autoren, einen der essentiellen Begriffe Jüngers der Relektüre zu widmen und dann darüber zu schreiben. Zu den Beiträgern gehören Martin van Creveld, Günter Figal, László F. Földényi, Wolfram Malte Fues, Yuval Noah Havari, Sebastian Kleinschmidt, Ulrich Schacht, Heimo Schwilk und viele andere. Fast alle Texte sind für dieses Buch geschrieben worden. Entstanden sind vollkommen unterschiedliche Stücke. Unterschiedlich in Länge, Art der Auseinandersetzung und natürlich – Niveau. Sie drehen sich wie zirkulierende Gestirne um Jüngersche Begriffe wie Abenteuer, Inneres Erlebnis, Waldgang, Verlorener Posten, Rausch, Autorschaft, Schmerz und andere.

STETS EINFÜHLEND UND EINFÜHREND der kurze, jedem Begriff und Kapitel vorangestellte Text von Alexander Pschera. Der hat augenscheinlich seinen Jünger gelesen. In seiner fulminanten Einführung »Was bleibt« umreißt der Herausgeber seine Sichtweise auf Jünger und damit zugleich die Intention des Sammelbandes. Die Idee des Individuums hätte in Jünger ihren größten Befürworter und Kritiker zugleich gefunden. »Wer zerstört, indem er hinblickt, beginnt, an seinem Blick zu zweifeln. Jüngers großes Talent war weniger, den viel gerühmten scharfen Blick zu besitzen, als vielmehr, diesem Blick nicht zu trauen, ja, ihn zu fürchten«, konstatiert Pschera. Und weiter: »Daher durchdringen sich in seinen Tagebüchern Oberfläche und Subtext in einer Weise, die immer wieder an das Zufällige von Pop-Literatur erinnert. Doch Jüngers Tagebücher sind weit mehr als autobiografische Texte, die die Heilszeichen im Alltäglichen suchen und sich mit dem stillen Fluss des metaphysisch überhöhten und bestaunten Banalen begnügen.« Jüngers Tagebücher seien eher Fiktionen denn Diarien.

Ähnlich der »Annäherungen«, Jüngers furiosem Drogen- und Zeit-Essay, sind seine Tagebücher Projektionen des Ich in immer neue Spiegelungen. Jünger ist in seinem Leben immer wieder an die Grenzen gegangen. Er wollte austesten, wie es sich im Grenzbereich anfühlt, wann der Sensemann winkt und ob die Götter Lust am frivolen Spiel haben. In Jüngers Tagebüchern wimmelt es von Täuschungen und ironischen Schattenspielen. Jünger besaß die Fähigkeit, in verschiedene Kleider zu schlüpfen und so die Welt unterschiedlich wahrzunehmen. Auch dies ist das vivre masqué des Dandys.

DANDY-CLUB-Empfehlung!

©  Matthias Pierre Lubinsky. All rights reserved.


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  1. […] Ernst Jünger im Gegenlicht. Matthes & Seitz Berlin Verlag, 2008. 382 Seiten, Paperback. Zeitgemäßer Sammelband zu Ernst Jünger. Pschera nimmt die Schlüsselbegriffe Ernst Jüngers und lässt Autoren sich dazu Gedanken machen. Eines der besten Sekundärbücher zu Ernst Jünger der vergangenen Jahrzehnte, – wenn nicht überhaupt. Unsere Rezension: http://www.dandy-club.com/2010/03/115-geburtstag-ernst-jungers.html […]

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