Die Gleichmacherei der modernen Massendemokratie ist Thema von Norbert Bolz. Die Leugnung von naturgegebenen Unterschieden beschäftigt den ‚Dandy der Medientheorie‘ (Die Zeit) seit Jahren in Veröffentlichungen, Talk-Shows und Interviews. Nun legt Bolz nach mit einem provokanten, polemischen aber nicht unsachlichen Traktat, – frei nach Ludwig Wittgenstein einem Tractatus logico disiunctio.
Bolz, der als Professor an der Technischen Universität Berlin lehrt, sieht ein paradoxes Sich-Hochschaukeln in dem allumfassenden Gleichheitsversprechen des Staates. Massendemokratisch zu leben, heiße im vergleichenden Blick auf die anderen zu leben. Die Crux: Umso größer die Gleichheit, desto schärfer der Blick auf die immer geringeren Unterschiede: »Der Hass auf die Ungleichheit ist die demokratische Leidenschaft par excellence (…) Das Prinzip Gleichheit wirkt also paradox: Je mehr Gleichheit praktiziert, durchgesetzt wird, desto unerträglicher wird jede noch vorhandene Ungleichheit.« Bolz interpretiert als Folge dieses Mechanismusses: Die statistisch erwiesene Ungleichheit werde als Ungerechtigkeit ausgelegt und »als zentrales Beweismittel im ideologiekritischen Prozess gegen die bürgerliche Freiheit eingesetzt«.
Bolz‘ Traktat beginnt mit Alexis de Tocquevilles Betrachtungen über die Demokratie in Amerika. Diese kleine Schrift, die schon in den 1930er Jahren Ernst Jünger von Carl Schmitt empfohlen worden war, enthält essentielle Wahrheiten, die sich – nach Bolz‘ Auffassung – in den vergangenen 175 Jahren seit ihrer ersten Veröffentlichung noch verschlimmert haben. Nach Überzeugung des französischen Philosophen ist der Mensch unsicher und feige. Die meisten Menschen seien heilfroh, wenn ihnen die Entscheidungen abgenommen werden. Das führe im Resultat dazu, dass sie eine Tyrannei, die ihnen exakt vorschreibe, was sie zu tun haben, der Freiheit, über sich bestimmen zu können, vorziehen.
Bolz folgt Tocqueville auch in der Sicht über die Massenmedien: Massendemokratische Gesellschaften würden zusammengehalten durch die Furcht vor der Meinung der anderen. Tatsächlich kennt man es aus dem Privatleben. Unsichere Menschen orientieren sich an dem, von dem sie glauben, andere würden es über sie denken. Die öffentliche Meinung sieht Bolz als wichtiges Instrument der Zähmung. Mit einem schönen Satz bringt er es auf den Punkt: »Ich verstehe nicht, was los ist, nehme aber an, dass alle anderen verstehen, was los ist.«
Kein Wunder, dass Bolz in diesem Zusammenhang mit der Political Correctness abrechnet: In der Mediendemokratie der Gegenwart würden die Menschen durch eine Sprache versklavt, die als die unwiderrufliche der Mehrheit auftrete. Die öffentliche Meinung spreche jedoch nicht für die Majorität sondern für die Orthodoxie namens Politische Korrektheit. Fatal daran sei die weitere Folge: Da kein Mensch länger anders denken könne als reden, würden die meisten »auch schon politisch korrekt« denken. Bolz: »Heute dürfen die meisten Menschen sagen und schreiben, was sie wollen, weil sie ohnehin dasselbe denken.«
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