‚Aschermittwoch‘ heißt eine Szene – „Dem Klub ‚Zur Bethelnuß‘ gewidmet“ – in Otto Julius Bierbaums Die Haare der heiligen Fringilla.
Sie beschreibt das Leid des Dandys an diesem Tag – im 19. Jahrhundert…
„(Das Schlafzimmer des Dandy. In der Mitte ein enormes Himmelbett, das von weißen Mullvorhängen umgeben ist, die mit fallenden grauen Rosen in Seide bestickt sind. Ebensolche Vorhänge an den hohen Fenstern. Gegenüber dem Bett eine große Waschtoilette aus grauem Marmor. Die Wände haben grauseidene Bespannung; der durch das ganze Zimmer gehende Teppich zeigt hellrote Rosen auf grauem Grunde. An den Wänden hängen in weißen Lackrahmen Lithographien von Toulouse-Lautrec.
Es ist zwei Uhr nachmittags, aber im Zimmer herrscht vollkommene Dämmerung.)
Der Dandy (im Traum, hinter den Gardinen des Bettes, singend):
Bald links herum, bald rechts herum, doch stets am Liebesba . . a . . nde (Ein Gespräch [50] wiederholend, mit Nachahmung der Stimmen etc.) Kathi, die Welt ist eine Bethelnuß. … Was für’n Ding? … Eine Bethelnuß … Woaß i, was dös is? … Frag deinen Kunstmaler. A, der Fadian der schlaft ja scho’ … Kathi? … Wos is? … Die Welt ist eine Bethelnuß!
(Singend):
Hat ’ne bli-bla-blonde Frau
Mit gefärbten Haaren;
Ei jawohl, ei jawohl.
Die mal anders waren.
(Sprechend): Daran ist kein Zweifel erlaubt; man sieht’s am Ansatz. Aber dennoch:
Ich liebe allein die Frau Marquise.
Sekt kann sie trinken wie ein Fähnderich; sie war nicht umsonst Büffetmamsell.
(Erwacht, gähnt, ruft): Ka–simir!
Kasimir (der Kammerdiener erscheint im Schmucke seiner schwarzen Koteletten): Gnädiger Herr befehlen?
Der Dandy: Heute ist Dienstag?
Kasimir: Sehr wohl, gnädiger Herr, aber eigentlich …
Der Dandy (brüllend): Sie sollen sich das Wort „eigentlich“ abgewöhnen! Das Wort ist eine Impertinenz! Wollen Sie vielleicht behaupten, daß ich betrunken bin?
Kasimir (unerschrocken, aber flötend): Im allgemeinen ist heute Mittwoch. (Betont): A–scher-!
Der Dandy: Auch das noch! Auch das noch! Kann einem dieser verfluchte Kalender denn gar nichts gönnen? Kasimir, haben Sie gebeichtet? Haben Sie Ihr schlechtes Leben abgeschworen? Fühlten Sie das Kreuz von Asche auf Ihrer lasterhaften Stirne?
Kasimir: Ich hatte noch keine Zeit dazu heute, gnädiger Herr, aber …
Der Dandy: Kasimir, Kasimir, Sie sind ein Soolei von einem Sünder. So hart gesotten sind Sie! Ist es wahr, daß Sie in Frack und Lack und Claque, und zwar in meinem Frack und Lack und Claque, in den Blumensälen waren!? Ich reiße Ihnen die linke Kotelette ab, wenn Sie leugnen!
Kasimir (betroffen, aber schnell in Fassung, mit dem Tone des verdächtigten Unschuldsengels): Aber gnädiger Herr …
Der Dandy: Kasimir, Sie tremolieren, also sind Sie erkannt. Ich würde sagen: Schämen Sie sich! wenn ich ein Idealist wäre. Da ich das aber nicht bin, schenk ich Ihnen das Zeug.
Kasimir (zieht den Mund breit, so daß die Koteletten wie zwei Flügel auseinander gehen; murmelt): Ergebensten Dank, gnädiger Herr. Befehlen der gnädige Herr Tee oder Schokolade heute?
Der Dandy: Antipyrrhin.
Kasimir (ohne eine Spur von Erschütterung): In Gießhübler oder Biliner?
Der Dandy: In Sekt.
Kasimir (verdreht entsetzt die Augen und schlüpft unhörbar hinaus).
Der Dandy: Das war eine Inspiration. Gift mit Gift als Gegengift. Kombiniertes Verfahren. Ein begabter Morgen. (Ruft): Kasimir!
Kasimir (erscheint mit einer Tablette): Gnädiger Herr? (Reicht die Tablette hinter den Vorhang.)
Der Dandy: Welch’ Zeit ist’s?
Kasimir: Zwei Uhr vorbei.
Der Dandy: Sie sind ein Schwärmer! Ich bin ja erst um drei nach Hause gekommen.
Kasimir: Ich meine zwei Uhr nachmittags.
Der Dandy: Und Sie bestehen darauf, daß heut’ Mittwoch ist?
Kasimir: Aschermittwoch (…)“